Eigentlich gute Zeiten (aus rechtlichen Gründen nennen wir es Satire)

Von Peter Reuter

Tja, wie soll ich es ihnen wohl sagen, damit sie mich nicht falsch verstehen. Ich finde, wir leben in guten Zeiten. Beruhigen sie sich doch, ich meine dies wirklich so, es ist mein voller Ernst. Das Nachdenken, mein Nachdenken, es führte nach einigen Umwegen geradewegs zu dieser Erkenntnis. Dieses Land, sehr geehrte Damen und Herren, es erlebt mehr als gute Zeiten. Ich gebe durchaus zu, dass man manchmal einen anderen Eindruck haben kann. Trotzdem bleibe ich dabei – mehr als gute Zeiten.

Denken sie doch nur daran, welch schwierige Situationen wir in der letzten Zeit gemeistert haben. Die Regierung hat durch die Änderung der Rentengesetzte ohne richterlichen Beschluss ein „lebenslänglich“ verhängt, an alle abhängigen Lohnsteuerzahlerinnen und Lohnsteuerzahler. Was ist danach passiert, eine Revolution, ein Aufstand oder zumindest eine angemeldete Demonstration außerhalb der Bannmeile? Nichts, absolut nichts ist passiert. Von Gefangenenrevolte ist überhaupt nichts zu spüren.

Peter Ramsauer, den Namen kennen sie vielleicht, er will versuchen, die Verkehrssünderdatei zu reformieren. Aus der Erfahrung der letzten Jahre speisend ist zu vermuten, selbst das Überqueren einer Straße am Zebrastreifen mit grünem Signal für Fußgänger, es wird zu einem Offizialdelikt erhoben, welches eine mehrjährige Gefängnisstrafe nach sich ziehen kann. Keine Oppositionsbewegung besetzt die Autobahn, keine Volksbewegung fordert die Absetzung dieses Fußgängerhassers. Wir nehmen es frau- und mannhaft auf uns – weil sonst alles in Ordnung ist.

Selbst ein Statement von Frau von der Leyen, welche spürbare Lohnerhöhungen fordert, wir ertragen es in den Nachrichten und halten es nicht für eine Programmvorschau auf einen satirischen Abend. Wir, sie, ich – wir halten auch die Ursel aus.

Auch das Generalsponsoring, welches die Bundesregierung für den notleidenden und global operierenden Bankensektor übernommen hat, kein Arsch kümmert sich mehr darum. Wir haben alle akzeptiert, dass unsere Regierung nur das tut, was Herr Ackermann als Vorsitzender der Bankenvereinigung mag. Scheinbar halten es auch die meisten als nicht mehr als richtig.

Unser Verfassungsschutz überprüft mit umfassenden geheimdienstlichen Mitteln gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter, alles in bester Ordnung in diesem Land. Die Verfassung unseres Verfassungsschutzes ist erste Sahne, alles was rechts ist. Die anderen gewählten Volksvertreter, sie werden ebenfalls überwacht, merken es bloß nicht, die finden das alles in Ordnung – so wie der Verfassungsschutz mit diesem Land, mit uns umgeht. Tolle Sache, ehrlich.

Jetzt haben sie und ich, verehrte Leserin, verehrter Leser, den in etwa gleichen Wissensstand, dass mit diesem Land alles in Ordnung ist. Die letzte noch zu klärende Frage lautet nur noch, warum halten wir das alles bloß aus. Haha, auch hier kann ich ihnen eine nicht zu knackende Tatsachenbegründung servieren. Wir richten uns an Vorbildern, besser gesagt, wir richten uns an einem alles in den Schatten stellenden Vorbild auf.

Damit meine ich niemanden anders als unseren Bundespräsidenten, den Herrn Christian Wulff aus Niedersachsen, zurzeit in Berlin lebend. Er ist der Sonnenstrahl, das Vorbild, der Starkmacher, die deutsche Variante eines Genies der Genies, ich gehe so weit zu sagen, unsere spezielle Ausführung eines geliebten Führers, unsere germanische Version des „Kim Jong Un“.

Dieser Hoffnungsgeber der Werktätigen, diese Güte des Lebens, er beweist uns tagtäglich, dass man als Politiker alles machen darf, dass man sich als Politiker auch durchaus erwischen lassen darf, dass man grundsätzlich auf Kosten anderer Urlaub machen sollte, dass man Kredite am besten als Geschenk empfängt und das man trotzdem immer weiter macht – mit missverständlichen Erklärungen, mit nicht ernstgemeinten Korrekturen, mit immer weiteren Fettnäpfchen, welche es zu betreten gilt, eben mit satter Pensionszusage einfach weiter macht, als wäre dies alles normal. Und solange unsere Regierung der Meinung ist, dass es sich bei Herrn Wulff um einen tadelsfreien Vertreter der „Nahe-beim-Markt-Generation“ handelt, welcher sich immer nach bestem Wissen und Gewissen verhält, und solange wir uns das gefallen lassen, so lange ist in diesem Land alles in bester Ordnung. Darum sind dies eigentlich gute Zeiten.

In diesem Sinne…


Quelle und Kommentare hier:
http://theintelligence.de/index.php/politik/kommentare/3996-eigentlich-gute-zeiten-aus-rechtlichen-gruenden-nennen-wir-es-satire.html