Die Stalingrad-Lüge

Es ist eine Lüge, daß Adolf Hitler mit der Eroberung Stalingrads den deutschen Truppen ein unerreichbares Ziel gesetzt hätte, infolge seiner Fehlentscheidungen eine Einschließung ermöglichte und den Ausbruch der 6. Armee verbot, für den Untergang der Armee die Verantwortung trägt und diesen Untergang nur deswegen nicht verhinderte, weil er aus Prestigegründen Stalingrad nicht wieder aufgeben wollte, und schließlich die Leiden der deutschen Soldaten vergrößerte, weil er sie nicht früher kapitulieren ließ.

Es ist die Wahrheit, daß alles dieses ein Lügengewebe ist, gewoben von ehemaligen Generälen, „Zeitgeschichtlern“, „Vergangenheitsbewältigern“ und ähnlichen Subjekten. Demgegenüber bricht sich jetzt langsam die Wahrheit Bahn. Der erste – noch nicht beachtet – war Friedrich Lenz mit seinem Buch: „Stalingrad – der ‚verlorene‘ Sieg“ (1956). Er wies schon nach, daß Heusinger Gespräche erfand, Zeitzier log, von Manstein in „Verlorene Siege“ die Unwahrheit sagte. Dann zeigte der Bundeswehr-Oberstleutnant Hans-Heinrich Wilhelm, daß Gehlen Hitler vollständig falsch über die sowjetischen Absichten unterrichtet hatte. David Irving berücksichtigte in „Hitler und seine Feldherren“ das Buch von Lenz zwar nicht, weist aber nach, daß die veröffentlichte Fassung des Kriegstagebuches des OKW in puncto Stalingrad nach dem Krieg gefälscht worden ist (z.B. S. 445), und Manfred Kehrig widerlegte mit seinem Stalingrad-Buch weitere Legenden. Daraus ergibt sich unter Umkehr aller bisheriger Thesen, daß nicht die deutsche Generalität, sondern Adolf Hitler vor den in Stalingrad lauernden Gefahren gewarnt hat. Doch wie kam es erst zu der Gefahr?

1. Die deutsche Operation wurde in den Süden der Ostfront gelegt, weil durch die Eroberung der kaukasischen Ölfelder einerseits für Deutschland das knapp werdende Öl zur Kriegsführung benötigt wurde, andererseits durch Entziehung dieses Öls der Feind bewegungsunfähig gemacht werden sollte. Stalingrad war also nicht Hauptstoßrichtung, und Generaloberst v. Kleist bestätigte dem englischen Militärhistoriker Liddel Hart:

„Die Eroberung von Stalingrad war der Hauptaufgabe untergeordnet. Die Stadt hatte nur Bedeutung als der geeignete Platz, an dem wir in der Enge zwischen Don und Wolga einen Angriff gegen unsere Flanke durch russische Kräfte aus dem Osten aufhalten konnten.“

Hinzu kam, daß durch eine Eroberung Stalingrads der Schiffsverkehr auf der Wolga unterbrochen werden konnte. Bis Ende 1942 hatten die Russen 25.000 Panzer produziert, wobei ein erheblicher Anteil durch das Stalingrader Traktorenwerk gebaut worden war. Neben einer Geschützfabrik waren noch weitere 1.500 kriegswichtige Fabriken in der Stadt. Daß Adolf Hitler deswegen, weil diese Stadt Stalins Namen trug, ihre Eroberung befohlen hätte, ist also die erste Lüge.

Und selbst wenn dies eine Rolle mitgespielt hätte: Es wäre propagandistisch gegenüber zum Überlaufen neigenden Russen sicherlich nicht unwichtig gewesen, wenn Stalin nicht einmal mehr in der Lage war, die nach ihm benannte Stadt mit seinen Truppen zu verteidigen. Daß die Gefahr für das Öl und die propagandistische Niederlage für den Kommunismus durch die Sowjets seinerzeit klar erkannt wurde, hat Lenz durch Beibringung entsprechender Zitate schon nachgewiesen.

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2. Angesichts der langen Flanken und einer bekanntgewordenen Karte aus dem russischen Bürgerkrieg sah Hitler die Gefahr eines Flankenvorstoßes voraus. Das Kriegstagebuch des OKW berichtet unter dem 16. August 1942: „Der Führer ist in Sorge, daß Stalin den russischen ‚Standard-Angriff‘ von 1920 wiederholen könnte, nämlich einen Angriff über den Don etwa bei und oberhalb Serofimowitsch in der Stoßrichtung auf Rostow, wie ihn die Bolschewiken im Jahre 1920 gegen die weißrussische Armee des Generals Wrangel unternommen und mit größtem Erfolg durchgeführt haben.

Er fürchtet, daß die an diesem Don-Abschnitt sichernde italienische 8. Armee einem solchen Angriff nicht standhalten würde, und dringt daher von neuem darauf, daß die 22. Panzer-Division schleunigst zur Auffrischung hinter die italienische 8. Armee gelegt wird “ Schon am 12. August hatte er gewünscht, daß bei der Heeresgruppe B „sofort“ deutsche schwere Artillerie und Panzerabwehr sowie ein Generalkommando mit zwei Divisionen hinter den ungarischen Sicherungsabschnitt am Don gelegt würden.

Doch es passiert nichts, da Adolf Hitler mit seiner Ansicht fast allein stand. Am 22. August befiehlt ausweislich des KTB „der Führer von neuem“, daß die 22. Pz.-Division hinter der italienischen Front einzusetzen sei, am 27.8.1942 heißt es:

„Der Führer sieht die entscheidende Gefahr bei der italienischen 8. Armee, der nunmehr zwei deutsche Divisionen zugeführt werden sollen“,

am 9. September fordert Hitler, daß die Don-Front so stark wie möglich ausgebaut und vermint werden soll, doch am 16. September ist immer noch nichts passiert: nunmehr zum dritten Male befiehlt Hitler, daß die 22. Panzer-Division (und zusätzlich die 113. Infanterie-Division) hinter den italienischen Abschnitt verlegt werden. Seine Befürchtungen werden nicht ernst genommen, seine Befehle ignoriert.

Die 22. Panzer-Div. wurde aber schließlich verlegt, nicht aber die 113. Infanterie-Division. Auch auf Hitlers erneut vorgetragene Befürchtung am 16. Oktober hinsichtlich eines russischen Großangriffs dort am Don und die Forderung, daß allen verbündeten Armeen Luftwaffenfelddivisionen als „Korsettstangen“ eingesetzt werden sollen, wurde nichts veranlaßt.

Am 19. November brachen die Russen bei der 3. rumänischen Armee durch; den Panzern der 22. Panzerdivision versperrten fliehende Rumänen-Panzer den Weg; zudem wurde die Division schlecht geführt. Am 20. November durchstießen die Russen im Süden von Stalingrad bei drei rumänischen Divisionen, die fast ohne Kampf ihre Waffen liegenließen und flüchteten, die Front. Am 16. Dezember geschah wiederum das, was Hitler befürchtet hatte: die Russen griffen die Italiener bei der Don-Front an.

Als Graf Ciano am 18.12.1942 zu einem Besuch in der Wolfsschanze erschien, wurde einem Mitglied seiner Delegation auf die Frage, ob die italienische 8. Armee schwere Verluste erlitten hätte, eisig geantwortet:

„Überhaupt keine. Sie hat überhaupt nicht aufgehört zu laufen.“

Doch während die beiden Durchbrüche bei den Rumänen zum Stalingrader Kessel führten, gelang es den deutschen Truppen hinter der italienischen Front, den russischen Angriff zum Stehen zu bringen; bis zum 27. Dezember wurde sogar in Gegenangriffen das russische 14. Panzer-Korps eingeschlossen und vernichtet.

Hitler hatte sich nicht durch Gehlen überzeugen lassen, der immer wieder davon sprach, alle Meldungen deuteten auf einen Angriff bei der Heeresgruppe Mitte. Kehrig schreibt hinsichtlich der Don-Front:

„Gehlens Abteilung und der ganze Generalstab waren emsig bemüht, Hitler zu demonstrieren, wie unbegründet seine Befürchtungen waren.“

Gegen eine nicht ernst genommene Gefahr tut man natürlich nicht genug. Festzuhalten bleibt: Die Lüge, Hitler habe die Stalingradkämpfer leichtfertig in die Falle geraten lassen, ist widerlegt. Es wurden nur seine Befehle zur Stützung der Front nicht befolgt.

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3. Am 21. November war die 6. Armee eingeschlossen. Hätte sie sofort ausbrechen sollen? Ihr Oberbefehlshaber Paulus erbat am 24. November die Ausbruchgenehmigung, die ihm durch Hitler nicht erteilt wurde. Aber Paulus hatte bereits am 22.11.42 gemeldet:

„Betriebsstoff bald aufgebraucht.“

Schwere Waffen und Fahrzeuge hätten also zurückgelassen werden müssen, die sicheren und Schutz bietenden Häuserruinen hätten verlassen und einem Feindangriff auf offener Steppe ohne schwere Waffen begegnet werden müssen. Hitler wollte nicht Trümmer retten, sondern eine operationsfähige Armee.

Hinzu kam, daß v. Richthofen sich am 16. November in sein Privattagebuch notiert hatte, daß

„Führer und Kämpfer bei Stalingrad so unlustig sind, daß nur durch Einführung eines neuen Geistes etwas erreicht werden kann.“ Er schlug dem OKH vor, „die an sich bewährten Führer für einige Zeit zu beurlauben und durch ganz andere vertreten zu lassen.“

Dieser Eindruck war richtig. Die 6. Armee hatte sich unter Generalfeldmarschall v. Reichenau von Sieg zu Sieg gekämpft, und Hitler hatte ihm gesagt, mit seiner Armee könne er den Himmel stürmen. Doch v. Reichenau war viel zu früh gestorben, und sein Stabschef Paulus wurde sein Nachfolger. Dieser aber war gegenüber dem ungestümen Reichenau übergroß gewissenhaft, was ihn nur schwer entscheidende Entschlüsse fassen ließ – so der Historiker Görlitz.

Göring erklärte am 15.2.43 gegenüber General Keller:

„Paulus ist zu weich, hat keine Festung aus diesem Stalingrad gemacht.“

Und deshalb wurde Paulus Meinung über die Lage nach v. Richthofens Einschätzung der Generalität der 6. Armee nicht ganz für voll genommen – zurecht. Paulus meldete am 22.11. 1942 über Funk, daß seine Vorräte an Treibstoff, Munition und Verpflegung in Kürze erschöpft sein würden; das Brennmaterial reiche noch für 6 Tage. Tatsächlich hielt sich die Armee dann noch über 2 Monate. Kennzeichnend für Paulus war, daß er die Kapitulationsforderung der Sowjets vom 8. Januar 1943 nicht sofort ablehnte, sondern erst im Führerhauptquartier anfragte, wie er sich verhalten solle.

Gegenüber dieser pessimistischen Sicht, die zunächst überhaupt nicht gerechtfertigt war, setzte Hitler darauf, kurzfristig die 6. Armee aus der Luft zu versorgen, bis sie von außen befreit werden würde. Am 21.11.1942 hatte die 6. Armee dies laut v. Richthofens Privattagebuch selbst noch für möglich gehalten.

„Die 6. Armee sieht ihre takt. Lage nicht ungünstig an, wenn sie täglich 300 cbm Betriebsstoff und 30 to Panzermunition bekommt. Verpflegung soll für einen Monat ausreichen.“

Entgegen v. Mansteins Behauptung, er sei von Anfang an für den Ausbruch gewesen und habe nie Gegenteiliges Paulus mitgeteilt, ließ er am 24.11.1942 an Paulus funken:

„Wir werden alles tun, Sie herauszuhauen.“

Und am 29.11.1942 vermerkt das Lagebesprechungs-Protokoll:

„Beurteilung der Lage durch Gfm. von Manstein, kommt zum gleichen Ergebnis wie Führer.“

(Auch dies ist ein Satz, der in der veröffentlichten Fassung nach 1945 durch Greiner weggelassen wurde).

Zu diesem Optimismus ist zu sagen, daß im vorangegangenen Winter monatelang hunderttausend Mann im Kessel von Demjansk aus der Luft versorgt worden waren, bis sie durch eine Entsatzarmee befreit werden konnten. Auch für v. Manstein wurden neue Divisionen herangeführt, die den Entsatzangriff führen sollten. Warum sollte bis dahin die Luftversorgung im Kessel von Stalingrad nicht möglich sein? Wie Irving schreibt, hielten auch andere Offiziere in der Luftwaffe neben Göring dies nicht für eine unlösbare Aufgabe.

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4. Diese Befreiung von außen wäre fast geglückt! Hitler ließ v. Manstein hierzu völlig freie Hand. Die 6. Panzer-Division wurde herangeführt. Sie war die wohl kampfkräftigste Division des deutschen Heeres mit 160 Panzern, 42 Sturmgeschützen und 20 schweren Panzerspähwagen. Sie war hervorragend von Ostfrontkämpfern im verbundenen Kampf, Nachtgefecht, usw. ausgebildet worden. Sie traf am 5.12. mit Eisenbahntransport bei Kotelnikow ein, trat aus dem Ausladen heraus an und vernichtete an diesem Tag sofort 2 sowjetische Divisionen mit 56 Panzern. Statt diesen Sieg auszunutzen und entlang der Bahnlinie nach Stalingrad weiterzumarschieren, nützte v. Manstein nicht die freie Hand, die durch den Sieg gewonnen war, sondern ließ die Division bis zum 12. Dezember warten, bis die 23. Panzer-Division heran war.

Angesichts des vorherigen Erfolges hätte auf diese zusätzlichen 30 Panzer aber auch verzichtet werden können – es war ja ein Wettlauf mit der Zeit! Die 6. Panzer-Division trennte noch 120 km vom Kessel. Schon in den ersten 24 Stunden wurden 47 km dieser Strecke durch die 6. Pz.-Division zurückgelegt, der Ort Werchne-Kumsk in einem kühnen Nachtgefecht genommen. Um diesen Ort gab es dann allerdings mehrere Tage lang Kämpfe; er konnte endgültig erst am 19.12. nach Hinzuführung der 17. Panzer-Division genommen werden.

Das Verbeißen in diesen festungsmäßig gesicherten Ort bei einer Kampfführung, für die der Division die Grenadiere fehlten, war ein Fehler, da dadurch viel Blut und Material verloren ging. Das LVII. Panzer-Korps wollte an diesem Ort deshalb auch vorbeistoßen, aber von Manstein forderte den Angriff hier in Abweichung von dem direkten und kürzesten Weg nach Stalingrad. Doch auch diese Verzögerungen hemmten den Sturmlauf nicht: Am 23.12. stand die zur Entsatzarmee Hoth gehörende 6. Panzer-Division 48 km vor dem Kessel. Sie sollte am 24. Dezember befehlsgemäß 33 km zurücklegen, wobei sie hoffte, sich noch an diesem Tage mit der eingeschlossenen Besatzung, die einige km entgegenkommen könnte, zu vereinigen.

Doch Manstein hob diesen Befehl am 23. durch einen weiteren auf, der die Herauslösung der 6. Panzer-Division aus diesem Abschnitt und die Verlegung um 160 km hinter die Durchbruchstelle bei der italienischen Armee vorsah. Ein Schrei des Entsetzens ging durch die ganze Stoßgruppe – sie fühlten, daß sie es schaffen würden, und sahen, daß hiermit die letzte Chance für die Stalingrad-Kämpfer aufgegeben wurde. Es waren vor ihnen nur noch wenige Russenpanzer und die durch die vorherigen Angriffe zermürbte russische Infanterie.

Ferner zeigte sich, daß der Durchbruch bei den Italienern auch ohne die Herauslösung der 6. Panzer-Division abgeriegelt werden konnte. Mit der Verlegung der 6. Panzer-Division schrieb v. Manstein nicht nur die Stalingrad-Kämpfer ab, sondern brachte auch die Entsatzverbände in höchste Gefahr: Die Folge der Wegnahme war, daß die Entsatzarmee Hoth, um ihren weitaus stärksten Verband geschwächt, in wenigen Tagen zusammenbrach und bis zum 31. Dezember um 150 km nach Simowniki zurückgeworfen wurde. Generaloberst Mauss, der Kommandeur der 6. Panzer-Division, bekannte später, daß er sich wochenlang Gewissensbisse gemacht habe, weil er Mansteins Befehl zur Verlegung überhaupt befolgte, statt entgegen dem Befehl nach Stalingrad durchzubrechen und sich mit der 6. Armee zu vereinigen.

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5. v. Manstein hatte anscheinend die Hoffnung auf Entsatz bereits am 21.12.1942 aufgegeben. An diesem Tage meldete er ins Führerhauptquartier, daß die Entsatzoffensive nicht imstande sei, Hilfe näher an Stalingrad heranzuführen; am 20.12.42 war gemeldet worden, daß die 6. Armee selbst nur höchstens 30 km zurücklegen könne. Im Kriegstagebuch des OKW heißt es dann wörtlich:

„Der Führer hat den Gedanken, Stalingrad aufzugeben, fallen lassen; die 6. Armee kann in Anbetracht ihres gegenwärtigen Zustands bei einem Durchbruch höchstens 30 km vorwärtskommen, daher darf sie nicht vorzeitig ausbrechen.“

Daraus ist klar ersichtlich daß Hitler 1. durchaus den Durchbruch auch unter Aufgabe von Stalingrad wollte; 2. davon nicht aus Prestigegründen, sondern wegen der mangelhaften Beweglichkeit der 6. Armee absah, und 3. bei veränderten Verhältnissen durchaus den Ausbruch billigte („nicht vorzeitig“). Selbst Paulus bezeichnete „Donnerschlag“, den Ausbruch der ganzen Armee, angesichts der Entkräftung und Unbeweglichkeit seiner Truppen laut Irving (S. 455) als „Katastrophenlösung.“

Möglich war aber nach wie vor die gegenseitige Verbindungsaufnahme, um dem Kessel neue Kräfte und Versorgung zuzuführen. Entgegen Mansteins Auffassung meisterte die Entsatzarmee die durch Gegenangriffe entstandene Lage ohne Hinzuführung neuer Kräfte, gewann weiter Raum, und stand am 23.12.1942 zur Fortsetzung des Angriffs bereit.

Die Entsatzarmee stand nur noch 10 km von Jerik Krepinski entfernt, dem Ort, wo sich die Vereinigung mit der 6. Armee nach dem von der Heeresgruppe am 1.12.42 herausgegebenen Befehl „Wintergewitter“ vollziehen sollte und hätte vollziehen können, wenn v. Manstein den Durchbruchsbefehl gegeben hätte. Aber dieser Durchbruchsbefehl kam nicht, obwohl die 6. Armee auf ihn wartete. v. Manstein will zwar am 19.12.42 einen Befehl abgesetzt haben, der aber bei der 6. Armee nie eingetroffen ist und dessen Empfang sich v. Manstein nicht bestätigen ließ.

Im übrigen steht in diesem Befehl nur, daß die 6. Armee „baldmöglichst“ zum Angriff „Wintergewitter“ (dem Durchbruch und Herstellung der Landbrücke mit der Entsatzarmee) antreten sollte. Die 6. Armee solle Angriffstag und Zeit melden.

Selbst wenn die 6. Armee den Befehl bekommen hätte – sie hatte abgeschnitten im Kessel keinen Überblick über die Lage, wußte nicht, wie die Dinge bei der Entsatzarmee standen, und konnte deshalb überhaupt nicht selbständig entscheiden, wann zum Durchbruchsangriff angetreten werden sollte.

Wenn v. Manstein an diesem Tag den Durchbruch befohlen hätte, und sich dementsprechend die Verbände im Kessel gruppiert hätten, wofür mit 5 Tagen gerechnet wurde, hätte am 24.12. zum Durchbruch angetreten werden können, und die Vereinigung mit der gleichzeitig vordringenden Entsatzarmee Hoth wäre erfolgt! Am 19.12.42 hatte die 6. Armee die höchste tägliche Luftversorgung mit 290 to Nachschubgut, meist Benzin.

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6. Die Verantwortung an der Tragödie Stalingrad trifft also vornehmlich v. Manstein. Nicht umsonst behauptet er an zwei Stellen seines Buches, Adolf Hitler habe ihm gegenüber im Gespräch die Verantwortung für Stalingrad übernommen – was aufgrund anderer nachgewiesener Falschmeldungen v. Mansteins in diesem Zusammenhang unzutreffend sein dürfte.

So behauptet er wahrheitswidrig, die 6. Armee habe seinem Befehl nicht unterstanden, bestimmte benötigte Verbände um Entsatz auch nicht. v. Manstein war auch der erste, der – ohne dies gegenüber Hitler zuzugeben – die 6. Armee abgeschrieben hat. So mußte die rechte Hand des Oberquartiermeisters der 6. Armee, der zu Manstein ausgeflogen wurde, Günter Toepke, am 31.12.42 erfahren, daß das Versorgungsgut der 6. Armee außerhalb des Kessels zur Versorgung des Frontabschnittes am Tschir verwendet wurde, daß v. Manstein ihm am 11.1.43 den Einflug nach Stalingrad mit der Begründung verbot:

„Sie haben hier zu viel Einblick bekommen“,

daß v. Manstein von Paulus angeforderte kampfkräftige Bataillone nicht in den Kessel schickte, daß Funksprüche in den Kessel gingen, die die wahre Lage völlig verschleierten und einen Entsetzungsversuch vortäuschten, der gar nicht vorbereitet wurde. D

er Fernseh-Kommentator zur Deutschen Wochenschau vom 14.1.1943 behauptete, Hitler habe zu diesem Zeitpunkt die 6. Armee längst abgeschrieben gehabt. Eine weitere Lüge – denn während v. Manstein sie längst aufgegeben hatte, unternahm Hitler durch Sondervollmachten an Milch am 15.1.1943 noch einen verzweifelten Versuch, durch Steigerung der Luftversorgung – die auch erfolgte – die 6. Armee zu stärken.

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7. Warum verhielt sich v. Manstein so? Dies mag einmal in seiner Persönlichkeit begründet sein. Er wollte und konnte operieren mit friedensmäßig ausgerüsteten Verbänden; für ihn zählte nur die Zahl. Dinge, wie den Heldenmut der Kämpfer der 6. Panzer-Division, die die ehrenvolle Aufgabe vor sich sahen, die Kameraden einer ganzen Armee zu befreien, oder die Kräfteverdoppelung, die der Ausbruchsangriff bei den Eingeschlossenen bewirken konnte, setzte er nicht in Rechnung. So hielt er ein weiteres Vorkommen am 20.12.42 nicht mehr für möglich, obwohl es dann anschließend doch erfolgte.

Entlarvend dafür ist sein Zitat über den

„entscheidenden Faktor, der Hitlers Führung bestimmte: Die Überschätzung der Macht des Willens. Seines Willens, der sich nur bis zum jüngsten Grenadier in die Gläubigkeit umzusetzen hätte, um die Richtigkeit seiner Befehle sicherzustellen.“

Gegenüber dieser Kleingläubigkeit hat Fichte bekannt:

„Nicht die Gewalt der Armee, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemüts ist es, welche Siege erkämpft.“

Zu diesem Charakterzug kamen Führungsfehler, insbesondere der Abzug der 6. Panzer-Division, der Zerstreuung der Reserven (welchen Fehler auch Generalmajor Fuller in „Der zweite Weltkrieg 1939-1945“, S. 299 erkannte), dem Nichteinsatz der Gruppe Hollidt zu Ablenkungs- oder Scheinangriffen. v. Richthofen notierte in sein Tagebuch am 8.1.1943:

„Manstein meines Erachtens völlig fertig, zittert am ganzen Körper, sieht uralt aus.“

Hatte er eingesehen, daß seine Fehler zur Vernichtung der 6. Armee führten? Oder steckt vielleicht noch mehr dahinter? Dies eröffnet einen Blick auf das düsterste Kapitel der deutschen Heeresgeschichte. Die Widerständler v. Tresckow und v. Schlabrendorff haben behauptet, v. Manstein habe ihnen eine Zusammenarbeit nach der Einnahme von Sewastopol zugesagt. v. Manstein gibt zwar zu, daß ihn „ein enges Vertrauens-, ich möchte beinahe sagen Freundschaftsverhältnis“ zu v. Tresckow verbunden habe, behauptete aber, er habe Fühlungsversuche der Widerständler im Kriege nicht erkannt und habe auch keine Zusage gemacht, sich an der Beseitigung Hitlers zu beteiligen.

Die Verschwörer des 20. Juli haben sich aber generell sehr offen gegenüber ihren Kameraden ausgedrückt, da sie wußten, daß aufgrund des Ehrenkodex und der dort herrschenden konservativen, nicht nationalsozialistischen Einstellung heraus offene Gespräche nicht gemeldet werden würden. Die Aussage Mansteins ist also nicht glaubhaft, und an anderer Stelle sagt er selbst, Hitler habe keine Treue verdient.

Bei seiner Posener Rede vor Gauleitern nach dem 20. Juli äußerte Himmler schärfste Kritik an v. Manstein, der höchstausgebildete Spezialisten der Leibstandarte, Instandsetzungsdienste, Waffenwarte, Panzerbesatzungen zu Infanterie-Bataillonen zusammenfaßte und sie solange nicht herauszog, bis nicht das letzte Bataillon aus den technischen Diensten, aus den Panzerleuten gefallen gewesen sei, weshalb es auch zu den überdurchschnittlich hohen Verlusten gekommen sei, und sprach davon,

„daß bei manchem Böswilligen nur die Absicht bestand, diese unangenehme Truppe zu schlachten und aus dem Weg zu räumen für eine etwaige zukünftige Entwicklung.“

Und Dr. Goebbels hält in seinem Tagebuch am 3.11.1943 fest, daß von v. Manstein seit Wochen ein Fernschreiben nach dem anderen komme, er müsse zurück, und zwischen jeder Zeile zu lesen stünde:

„Ich will zurück: Denn das ist nicht mein Krieg, sondern dein Krieg. Da siehst du mal, wie weit du mit deinem viel gerühmten Feldherrngenie kommst. Und statt wie wir alle jeden Meter verlorenen Bodens zu beklagen, lachen sie sich ins Fäustchen. Da siehst du mal, was an deiner Feldherrnkunst dran ist, du lächerlicher Gefreiter. – Sie haben es ihm nie verziehen, daß er, der Gefreite, sie, die Generale, in den Schatten stellte, daß er fast ganz Europa in einer Kette unvergleichlich kühner und erfolgreicher Operationen eroberte.

Denn die revolutionären Ideen, die eben diese einmaligen Erfolge unserer Wehrmacht ermöglichten, die Motorisierung, die taktische Zusammenarbeit zwischen Heer und Luftwaffe, die Taktik des blitzschnellen Panzervorstoßes, die eine nach dem vorigen Weltkrieg nicht mehr für möglich gehaltene Umwälzung der Kriegführung bewirkten, sie sind das unbestrittene Eigentum des Führers. … Unsere Generalität will Niederlagen. Ich sage nicht die Niederlage, denn für so verblendet halte ich sie nun doch nicht. Sie müßten wissen, daß mit uns auch sie an die Galgen kommen, die die Sieger nach einer Niederlage in Deutschland aufrichten werden. Aber sie wollen das Feldherrentalent des Führers widerlegen und hoffen, sich durch seine Mißerfolge selbst wieder zu Bedeutung und Macht zu bringen.“

Dr. Goebbels hatte intuitiv die Wahrheit erkannt – nur daß bei einigen Generälen auch die totale Niederlage gewollt war. v. Schlabrendorff, einer der Verschwörer, schreibt in seinem Buch „Offiziere gegen Hitler“ die entlarvenden Sätze:

„Diesen Erfolg Hitler unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu verhindern, auch auf Kosten einer schweren Niederlage des Dritten Reiches, war unsere dringlichste Aufgabe.“

General Fellgiebel von den Nachrichtentruppen gehörte zu ihnen, und die Sowjets erfuhren – oftmals noch vor den Frontbefehlshabern – die geheimsten Befehle für Angriff und Verteidigung. Generaloberst Halder, der Chef des Generalstabes des Heeres, hatte nach Gisevius erkannt, daß jeder Staatsstreich eine neue Festigung „des braunen Systems“ bewirken würde, wofür nicht zuletzt die Soldaten bürgten, denn sie bejubelten ihn als ihren Heros.

Nur im Falle eines weithin sichtbaren Rückschlages dürfte man damit rechnen, daß sich die Wehrmacht zu einer beherzten Säuberungsaktion mitreißen lasse. Wenn ein solcher nicht eintrat, mußte er eben organisiert werden. Auch sein Vorgänger, der Widerständler Beck, äußerte sich nach der Kesselschlacht von Kalatsch dahingehend, daß die

„Siege nur kriegsverlängernd wirkten.“

Gisevius sagte in Nürnberg aus, daß ihm Beck 1943 auf seine Frage, ob und für welche Zeit man den Putsch beabsichtigte, erklärt habe, daß ein solcher nicht mehr notwendig sei, denn man verfüge jetzt über genügend Vertrauensleute in Kommandostellen der Ostfront, daß man den Krieg bis zum Zusammenbruch des Regimes regulieren könne: Diese Vertrauensleute arrangierten z.B. Rückzüge ihrer Einheiten, ohne jeweils die Nachbareinheiten zu benachrichtigen, so daß die Sowjets in die so entstandenen Lücken einbrechen und die Front nach beiden Seiten aufrollen könnten. Diese Nachbareinheiten seien also auch zum Rückzug gezwungen oder würden in Gefangenschaft geraten. Ferner wurde Nachschub fehlgeleitet.

Alle diese Umstände sind auch bei der Stalingrad-Tragödie nachweisbar. So war auf dem beabsichtigten Weg nach Stalingrad durch dessen Kenntnis von den Sowjets ein beispielloses Festungskampffeld zwischen Wolga und Don entstanden, dessen Überwindung hohe Verluste kostete.

Der Widerständler Generalquartiermeister Wagner, der schon im Winter 1941/42 für die Nichtbelieferung der Truppe mit Winterkleidung verantwortlich war, sorgte dafür, daß aller verfügbare Betriebsstoff an die Heeresgruppe List ging, damit sich die Armee Paulus nur langsam bewegen konnte, und später keine Reserven hatte. Und in Stalingrad selbst inszenierte der Widerständler v. Seydlitz das Becksche Rückzugskonzept.

Ohne von den Russen angegriffen zu sein, nahm er ohne Unterrichtung seines Vorgesetzten und ohne Unterrichtung der Nachbareinheiten den linken Flügel seines Korps zurück, wobei er vorher noch angeblich „überflüssiges“ Gerät, Material, usw. vernichten ließ. Dadurch mußte auch die benachbarte 94. Infanterie-Division ihre befestigten festen Stellungen räumen.

Im freien Steppengelände ohne jede Deckung wurden die zurückgehenden Grenadiere durch die die günstige Gelegenheit ausnutzenden Russen pausenlos angegriffen und erlitten hohe Verluste, wie Toepke berichtet. Seydlitz hatte schon vorher zu denen gehört, die beständig Sand in das Getriebe der Wehrmacht streuten.

Beispielsweise hatte er schon vorher den besonders befähigten Truppenführer General Lieb, der sich im Tscherkassy-Kessel das Eichenlaub durch seine umsichtige Führung verdiente, auf dem Posten eines Stadtkommandanten von Frankfurt auf Eis gelegt. Nach seiner Gefangennahme wurde er Vorsitzender des von den Sowjets aufgezogenen „Bundes deutscher Offiziere“ und forderte in Kenntnis der Tatsache, daß in den sowjetischen Gefangenenlagern die deutschen Soldaten in Massen zugrundegingen, in Flugblättern zur Desertion auf.

Und Seydlitz war nicht der einzige hohe Offizier, der im Kampf um Stalingrad als Widerständler eine verhängnisvolle Rolle spielte. Die Verschwörer hatten die Neigung, nicht auf ihrer Linie liegende Offiziere aus ihrem Umkreis zu entfernen. Demzufolge zeichnet der gewiß unverdächtige Graf Einsiedel, der später selbst zum „Nationalkomitee freies Deutschland“ gehörte, in seinem „Tagebuch der Versuchung“ folgenden Einzug der gefangen genommenen Generäle in das Gefangenenlager:

„Dort bietet sich mir ein Anblick, der gespenstisch und grotesk zugleich ist – die Generale beim Einzug in ihre Quartiere. Blitzende Monokel und Orden, Pelzmäntel und Spazierstöcke, leuchtend rote Generalsaufschläge und wunderbare, mit Leder abgesetzte Filzstiefel, energische Gesten, weitausholende Handbewegungen, strahlendes Lachen.

Und nur selten in diesem bunten und eleganten Bild ein grauer Fleck: die gebeugte Gestalt eines der alten Lagerinsassen in zerlumpten russischen Wattejacken oder zerfetzten deutschen Uniformen, anstelle des Schuhwerks Lappen mit Bindfäden um die Füße gewickelt – das ausgemergelte, leblose Gesicht ständig zum Boden gesenkt.“ Die 6. Armee ist vernichtet, ihre Untergebenen sind elendig zugrundegegangen oder gehen noch zugrunde – und dann „strahlendes Lachen.“

Wer angesichts dieser Situation strahlend lacht, der hat diese Situation gewollt. v. Seydlitz war sicherlich nicht der einzige Verschwörer im Kessel.

Und auch außerhalb saßen sie und wirkten an der Niederlage mit, wenngleich deshalb, weil sie wie Pech und Schwefel zusammenhielten – so der frühere Chef des Personalamtes –, längst nicht alle Namen bekannt sind. Immerhin gehört Oberst Schulze-Buettger, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, und Oberleutnant Stahlberg, beides Stabsoffiziere in Mansteins Heeresgruppe Don, sicher zu den Verschwörern, ebenso wie der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtete Oberst Finkh.

Finkh war Oberquartiermeister der Heeresgruppe Don, also für den gesamten Nachschub zuständig. Funksprüche von Toepke, der von Paulus aus dem Kessel ausgeflogen worden war, um ihn über die Lage zu unterrichten, fälschte Finkh, angeblich, um die Leute im Kessel zu „schonen.“

Auf die Frage Toepkes, warum der Ausbruch nicht zwischen dem 18. und 20. Dezember 1942 befohlen worden sei, zeigte sich Finkh als Gegner; die Vernichtung hätte ja auch noch in der Steppe erfolgen können. Zu einer Zeit, wo ständige Führung dringend erforderlich gewesen wäre, nämlich Anfang Januar 1943, verlegte der Stab der Heeresgruppe 100 km nach rückwärts.

Toepke konnte beobachten, daß, obwohl jede Tonne Fahrzeugraum benötigt wurde, die Oberquartiermeisterabteilung von Finkh allein 500 to Fahrkolonnenraum belegte: Es wurden zahlreiche Möbeleinrichtungen mit Sesseln, Vitrinen, usw. für beinahe jeden Schreiber mitgenommen („Stalingrad, wie es wirklich war“, S.109). Gisevius berichtete unter Eid, daß die Widerständler Oberstleutnant Graf von der Schulenburg und General v. Tresckow ins Hauptquartier Manstein gefahren seien, es sei von den Widerständlern „Fühlung zu den Feldmarschällen im Osten“ – also auch v. Manstein – aufgenommen worden.

Vielleicht beweist die Nervenverfassung, in der v. Richthofen Manstein am 8.1.43 vorfand, nicht die Erkenntnis eigener Führungsschwäche, sondern das Wissen, um eines Putsches willen eine ganze Armee bewußt zu opfern.

Und darum ging es den Verschwörern. Stalingrad sollte der „große Rückschlag“ werden, ohne den nach Halder jeder Staatsstreich zum Scheitern verurteilt war. Gisevius sagte unter Eid in Nürnberg aus, daß nach der Umklammerung der 6. Armee am 19. November 1942 ein Hochbetrieb im Kreis um Beck begann. Gisevius wurde aus der Schweiz zurückgerufen, und es wurde fieberhaft alles geplant,

„um nunmehr wenigstens zu diesem Zeitpunkt einen Militärputsch zu organisieren“, „wo eben die Armee Paulus restlos besiegt kapitulieren mußte.“

Da es den Verschwörern nicht gelungen war, „die ‚siegreichen‘ Generale zu einem Putsch zu bewegen, versuchten wir, sie nunmehr wenigstens zum Putsch zu bewegen.“

Beck nahm mit den Feldmarschällen Kontakt auf, Fellgiebel legte eine Sondertelefonleitung aus dem Hauptquartier zum General Olbricht in das OKW, mit Feldmarschall v. Witzleben wurde eine feste Verabredung für die Auslösung eines Putsches im Westen getroffen, ferner mit dem Militärgouverneur von Belgien, Generaloberst von Falkenhausen, bestimmte Panzertruppen wurden um Berlin zusammengezogen.

Gisevius führt alles dieses aus und sagt dann zurecht, daß

„dieses Mal wirklich sehr viel vorbereitet war.“

Allerdings kamen die Dinge anders, indem – so Gisevius –

„Feldmarschall Paulus kapitulierte, statt uns das Stichwort zu geben, daß abredegemäß dann Kluge auftreten sollte, um vom Osten den Putsch auszulösen.“

Die Widerständler hatten erwartet, daß Paulus vor seiner Kapitulation einen Aufruf an das deutsche Volk und an die Ostfront erlassen würde, in dem die Strategie Hitlers gebrandmarkt würde, und mit dieser Rückendeckung wollte man losschlagen. 300.000 Mann opfern, um einen Mann auszuschalten!

Ein Mann, der als Gefreiter ihnen, den Generälen, die es ja schließlich gelernt hatten, vorgemacht hatte, wie moderne Schlachten zu schlagen seien. Und daß v. Manstein eingeweiht war, läßt sich nicht nur aus seinen taktischen Fehlern – wie dargestellt – schließen, nicht nur aus Gisevius Andeutungen, sondern auch aus seinem späteren Verhalten.

Manstein wollte Hitler nach Stalingrad den Verzicht auf den Oberbefehl nahelegen – also genau das, wozu auch Kluge ihn mit seiner nach der Kapitulation von Paulus beabsichtigten Erklärung, er werde keine Befehle mehr von Hitler entgegennehmen, zwingen wollte. Immerhin schlug Manstein Hitler dann noch vor, wenigstens einen „Oberbefehlshaber Ost“ zu ernennen – wofür v. Manstein sich selbst als geeignet ansah.

Hitler lehnte ab. Aber wenn es zum Leidwesen der Verschwörer auch nicht zum Putsch gekommen war – sie nutzten Stalingrad jetzt, um Zwietracht und Zweifel an Hitlers Führung im Offizierskorps zu säen. Göring sagte zu Goebbels laut dessen Eintragung im Tagebuch vom 2. März 1943:

„Die Generalität setzt jetzt alles daran, diese Vertrauenskrise auf den Führer abzuwälzen. Sie nimmt jetzt Rache für den Winter des vorigen Jahres, wo sie durch die Maßnahmen des Führers so ins Unrecht gesetzt wurde.“

***

8. Als zu sehen war, daß die 6. Armee nicht mehr entsetzt werden konnte, warum hat Hitler da die Kapitulation verboten? Aus Prestigegründen, sagt die Lügenpropaganda, und weil sie erst so spät kapitulieren konnten, gerieten die deutschen Soldaten nur geschwächt in Gefangenschaft und starben an Erschöpfung.

Nun, als am 22.1.43 der Feind zum zweitenmal Paulus zur Kapitulation aufforderte, wofür auch Manstein eintrat, verbot Hitler dies, wobei er erwiderte, daß die Russen sich an keine vereinbarten Bedingungen halten würden – als Gefangene würden die Soldaten nicht mehr lange leben, aber jeder Tag, an dem sie den Kampf fortsetzten, würde dazu beitragen, andere Frontabschnitte zu festigen.

Und beides war richtig. Bis Stalingrad hatte die deutsche Armee im Ostfeldzug 86.000 Mann als Vermißte verloren. Ein Teil von diesen war sicherlich gefallen, aber der größere Teil war in Gefangenschaft geraten. Bei der Rückeroberung mancher Gebiete hatten die Soldaten sehen können, was die Russen mit den Gefangenen gemacht hatten: sie waren regelrecht abgeschlachtet worden« Selbst vor den Verwundeten in den Lazaretten hatten sie nicht halt gemacht. Als hoher britischer Besuch im Winter 1941/42 in Moskau war, wurden einige kriegsgefangene Deutsche vorgeführt; anschließend wurden sie an der Kremlmauer erschossen. Keiner der deutschen Soldaten, die bis Stalingrad in Gefangenschaft gerieten, hat den Krieg überlebt.

Und wie war es mit den Stalingrad-Kämpfern? Es heißt allgemein, daß 91.000 deutsche Soldaten in Gefangenschaft geraten seien. Diese Zahl ist falsch; es wurde unkritisch die sowjetische Angabe dazu übernommen. Die Sowjets haben anscheinend die von ihnen schon in den ersten Tagen umgebrachten nicht mitgezählt. Irving nennt 108.000 Gefangene, Lenz sagt, daß mindestens 125.000 in Gefangenschaft gerieten. In der Sendung „Europa unter dem Hakenkreuz“ hieß es in der Sendung über Stalingrad, daß 160.000 deutsche Soldaten dort gefallen seien – von 300.000, die im Kessel waren.

Von diesen weit über 100.000 Gefangenen überlebten 6.500. Die Gefangenen wurden, soweit sie nicht gleich erschossen wurden, durch den Schnee getrieben. Einige kamen am Hauptverbandsplatz der 295. Infanterie-Division vorbei, wo den Verwundeten mit Kolben die Schädel eingeschlagen worden waren. 120 Kilometer wurden die Gefangenen in fünf Tagen durch den Schnee getrieben; sie mußten neben einer Eisenbahnstrecke laufen, wo Leerzüge von Stalingrad wegfuhren, in denen man die Gefangenen ohne Schwierigkeiten hätte mitfahren lassen können. Nur einmal in den fünf Tagen bekamen die Gefangenen eine Handvoll Hirse. Wer liegenblieb, wurde erschossen. Die übriggebliebenen Mannschaften verschwanden in Vernichtungslagern. Nur die etwa 5.000 gefangenen Offiziere wurden besser behandelt, weil Stalin mit ihnen zur Wehrkraftzersetzung das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ aufbauen wollte (wobei er bei den weitaus meisten allerdings auf keine Gegenliebe stieß). Von den 6.500 Überlebenden waren deshalb 2.300 Offiziere.

Hitler hatte also das Schicksal der Gefangenen – was aufgrund der gemachten Erfahrungen nicht schwierig war – richtig vorausgesehen. Solange die Armee nicht kapitulierte, erfüllte sie aber einen wichtigen Zweck: Sie band sowjetische Divisionen, die sonst den 700.000 Mann der Kaukasus-Heeresgruppe – wenn sie frei geworden wären – den Rückzug hätten abschneiden können. Noch am 22.1.1943 gab es erfolgreiche Gegenangriffe bei Woroponowo durch Einheiten der 6. Armee. Die Zahlen darüber, wieviele Kräfte gebunden wurden, schwanken; von mindestens 15 Divisionen (bei Moos) über 70 russische Divisionen und Brigaden (Irving, S.457) bis 107 sowjetische Verbände und 13 Heerespanzer-Regimenter (Gehlen). Übereinstimmung aber besteht darüber, daß ohne das Aushalten der 6. Armee die Soldaten der Kaukasus-Heeresgruppe dasselbe Schicksal wie die Stalingrad-Kämpfer erlitten hätten.

Selbst Manstein gibt heute zu, daß das Ausharren richtig war, zur Bindung von Kräften. Die Soldaten der 6. Armee kämpften wie die 300 Spartaner unter ihrem König Leonidas beim Thermopylenpaß. Wie Leonidas Spartaner wußten sie, daß sie verloren waren, wie Leonidas Spartaner wußten sie aber auch, daß ihr Kampf den Vormarsch des Feindes verzögerte und damit für andere die Rettung bedeutete. Und der Verrat einiger Generäle darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der deutsche Soldat und viele Offiziere ihrem Fahneneid getreu blieben.

Der Kommandeur der 371. Infanteriedivision, Generalmajor Stempel, erschoß sich am 26.1.1943. Der Kommandeur der 71. Infanteriedivision, Generalmajor von Hartmann, fiel am gleichen Tage, nachdem er, offen auf einem Bahndamm stehend, freihändig auf die angreifenden Russen geschossen hatte.

Die Männer der 6. Armee werden in der Geschichte für alle Zeiten bewundert und verehrt werden als die Vorposten Europas in seiner Sicherung gegen die Steppe. Ihre Helden fielen für alles, was uns lieb und teuer ist. Man wird unter den Menschen und Völkern nie mehr von Aufopferung unter den übermächtigsten Bedingungen und schweigendem Heroismus sprechen können, ohne dabei an die 6. deutsche Armee zu denken, die den Sturm aus Asien aufzuhalten suchte, wenigstens so lange, bis ihre Kameraden sich in neuen Bereitstellungen festgesetzt hatten.

Als de Gaulle bei einem Staatsbesuch über die Schlachtfelder von Stalingrad geführt wurde, murmelte er:

„Ein großes Volk.“

Und noch bevor ein Lächeln auf den sich geschmeichelt fühlenden Gesichtern seiner russischen Begleitung aufleuchtete, setzte er fort:

„ – die Deutschen!“

Ziehen wir aber aus Stalingrad die Lehre, daß sich der täuscht, der meint, durch Paktieren mit dem Feind und Verrat eigene Interessen durchsetzen zu können!


Letzter Wehrmachtsbericht

9. Mai 1945

„Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige heldenhafte Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll erlegen.

Der deutsche Soldat hat, getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergeßliches geleistet. Die Heimat hat ihn bis zuletzt mit allen Kräften unterschwersten Opfern unterstützt.

Die einmalige Leistung von Front und Heimat wird in einem späteren gerechten Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden. Den Leistungen und Opfern der deutschen Soldaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft wird auch der Gegner die Achtung nicht versagen. Jeder Soldat kann deshalb die Waffe aufrecht und stolz aus der Hand legen und in den schwersten Stunden unserer Geschichte tapfer und zuversichtlich an die Arbeit gehen für das ewige Leben unseres Volkes.

Die Wehrmacht gedenkt in dieser schweren Stunde ihrer vor dem Feind gebliebenen Kameraden.

Die Toten verpflichten zu bedingungsloser Treue, zu Gehorsam und Disziplin gegenüber dem aus zahllosen Wunden blutenden Vaterland.“


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