Die Slawen, Teil 2: Alltag, Wirtschaft, Religion

Von „bedo“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 80 Februar – März 2009, demselben Heft, in dem auch Götter, Götter, Götter: Die Macht der alten Mütter  erschienen ist.

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Das Thema Slawen ist einfach zu umfangreich, um es in einem einzigen Titelthema abzuhandeln. In der letzten Ausgabe haben wir uns ausführlich mit der Geschichte der Slawen beschäftigt – wo kamen sie her, wo haben sie sich angesiedelt, welche verschiedenen Stämme gab es, mit welchen Nachbarn hatten sie wann Auseinandersetzungen und vieles mehr.

Nun wollen wir uns intensiv dem Leben der Slawen widmen: Alltag, Gesellschaft, Tracht und Schmuck; Religion und Kult, Tempel und Heiligtümer; Burgen und Festungen; Handelsplätze und Wirtschaft. Archäologisch sind die Hinterlassenschaften dieses Volkes gut dokumentiert, und auch die Historiographien haben uns sehr interessante Einblicke in die slawische Welt überliefert.

Eindrucksvolle Rekonstruktionen in Holstein, Mecklenburg und Vorpommern geben uns ein anschauliches Bild des Lebens dieses Volkes, das aus der Sicht der christlichen Chronistik viel zu lange als Barbaren angesehen wurde. Wollen wir also mit diesem Vorurteil aufräumen und die Slawen so zeigen, wie sie wirklich waren!

BURGEN UND FESTUNGEN

„Die Burg [Mecklenburg] wird Grâd genannt, das heißt große Burg. Südlich von Grâd befindet sich wiederum eine Burg, die in einem See erbaut wurde. So bauen die Slawen die meisten ihrer Burgen: Sie gehen zu Wiesen, reich an Wasser und Gestrüpp, stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab nach Form und Umfang der Burg, wie sie sie beabsichtigen, graben ringsherum und schütten die ausgehobene Erde auf, wobei sie mit Planken und Pfählen nach Art einer Bastion gefestigt wird, bis die Mauer die beabsichtigte Höhe erreicht. Auch wird für die Burg ein Tor abgemessen, an welcher Seite man will, und man geht auf einer hölzernen Brücke aus und ein. Von der Burg Grâd bis ans Weltmeer beträgt die Entfernung elf Meilen. Heere dringen in das Land […] nur mit großer Mühe ein, denn das ganze Land besteht aus Dickicht, Wiesen und Morast.“

So äußerte sich der islamische Reisende Ibrahim Ibn Jaquub um 960/65 über den Burgenbau bei den slawischen Stämmen im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Bei der hier erwähnten Burg Grâd handelt es sich um die Mecklenburg bei Wismar, die dem Land seinen heutigen Namen gegeben hat.

Schon im 8. Jh. entstand hier eine erste Burganlage, nachdem die Niederung weitgehend trockengelegt worden war. Sie diente den obodritischen Stammesfürsten als Sitz. Ihre erste namentliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 995, als Otto III. der Michelenburg am 10. September eine Schenkungsurkunde ausstellte.

Aus Michelenburg, das im Slawischen (Vili)Grâd heißt, wurde im Laufe der Zeit dann Mecklenburg. Sprachforscher übersetzen den Begriff mit „große Burg“, wie es auch Ibn Jaquub in seinem Bericht überliefert.

Eine typische slawische Herrscherburg: Ringwallanlage auf einer Halbinsel mit Torbau und Brücke (Rekonstruktion aus Groß Raden).

Ebenso läßt sich die Beobachtung des Chronisten, daß die Slawen ihre Burgen dort anlegten, wo die Umgebung einen natürlichen Schutz bot, archäologisch belegen. Außerdem paßten sie sie optimal an die jeweiligen topographischen Voraussetzungen an.

So lassen sich die Burgen in verschiedene Typen klassifizieren: Beispielsweise legte man in bergigen Landschaften die Festungen auf Bergspornen oder –kuppen als Höhenburgen an. Hierbei mußte lediglich die Zugangsseite besonders gut befestigt werden, etwa durch einen Wall. An den übrigen Seiten reichte eine Umzäunung mit Holzpalisaden oder einfachen Hecken aus.

Die häufigste Form stellen die sogenannten Niederungsburgen dar, die im Flachland konstruiert wurden und sich vorzugsweise in wasserreichen, sumpfigen Gebieten oder am Rand von Flußtälern, auf Inseln oder Halbinseln befanden. Der natürliche Schutz des umgebenden Wassers oder Sumpfes wurde dabei in das Verteidigungskonzept eingebunden.

Der Aufbau des Walls von innen wurde in Holzkästen angelegt, die mit Erde, Sand und Steinen verfüllt waren (Rekonstruktion aus Oldenburg/Holstein).

Fast alle Niederungsburgen sind als Ringwallanlagen konstruiert. Der Wall besaß ein Grundgerüst aus kastenartig zusammengefügten Baumstämmen (meist Eiche), die in mehreren Reihen hinter- und übereinander angeordnet waren.

Die 2 – 3 m breiten „Holzkästen“ (= Hohlräume) zwischen den Balken wurden vollständig mit Steinen, Sand und Erde aufgefüllt. Für die Errichtung des Walls von Groß Raden beispielsweise wurden rund 12.000 Kubikmeter Erde und über 800 Kubikmeter Eichenholz verbaut. Das benötigte Holz stammte aus den umliegenden Wäldern, Erde und Sand ebenfalls aus der Nähe der Anlagen.

In Groß Raden etwa fanden die Archäologen einige Gruben in der unmittelbaren Umgebung des Geländes. Oben auf dem Wall stand meist eine Palisade, die entweder einfach aus aneinandergereihten Brettern bestand oder auch sehr stabil gestaltet sein konnte, wie zum Beispiel die Rekonstruktion der Slawenburg von Raddusch zeigt, die in sogenannter Rostbauweise aus längs- und radialliegenden Hölzern zusammengesetzt war.

DIE SIEDLUNGEN

Die meisten Burgen bestanden nicht nur aus dem großen Ringwall, sondern ihnen war auch eine befestigte Siedlung angeschlossen: die sogenannte Vorburg.

Hier wohnten Dienstleute, Handwerker und häufig auch Händler, die in personellem wie wirtschaftlichem Verhältnis zum Burgadel standen. Ihre Häuser bestanden zunächst aus Flechtwerkkonstruktionen: Ihre Wände waren etwa 4 bis 4,5 m breit und lang sowie 1,80 bis 2 m hoch und bestanden aus senkrechten Stabbohlen, die in regelmäßigen Abständen senkrecht in die Erde gerammt und durch eingeflochtenes Astwerk miteinander verbunden waren.

Zur Abdichtung wurden sie mit präpariertem Lehm beworfen und verputzt. Der Boden bestand einfach aus Sand. Im 10. Jahrhundert kamen Blockhäuser auf, die größer gebaut (4 x 8 m Grundfläche) und aus waagrecht aufeinandergeschichteten Baumstämmen (meist Eiche) konstruiert wurden.

Sie konnten mit gestampften Lehmböden ausgestattet sein oder sogar einen hölzernen Dielenfußboden enthalten. Gruben- oder Langhäuser, wie sie bei den Wikingern typisch waren, scheinen die Slawen nicht gekannt zu haben.

Die Häuser in den Siedlungen konnten unterschiedlich gebaut sein, zum Beispiel als Holzbohlenkonstruktion, mit Wänden aus Astflechtwerk mit Lehmverputz, mit Sattel- oder Walmdach, ein- oder zweiräumig etc.

Im Innern der Häuser gab es eine aus Feldsteinen aufgesetzte Feuerstelle mit Rauchabzug im Dachgiebel und an Möblierung ein hölzernes Bett, Tische, Bänke, Stühle und meist auch einen Webstuhl. Manche Gebäude besaßen sogar zwei Räume.

Die Konstruktion der Dächer ist schwer nachweisbar, da sich nur sehr wenige komplette Befunde erhalten haben. Nachbauten in Groß Raden oder in Oldenburg/Holstein gehen allerdings von verschiedenen Bauweisen aus, beispielsweise Walm- und Satteldächer, mit Reet oder mit Holzschindeln gedeckt.

Zwischen den Häusern waren Bohlenwege angelegt, damit die Bewohner trockenen Fußes durch die Siedlung gelangen konnten. Vielfach dürfte der Grund und Boden der Anlagen trotz der Befestigungen und der Umschließung mit einem Wassergraben nicht ganz trockenzulegen gewesen sein, weshalb diese Bohlenwege – in Groß Raden beispielsweise ist der Hauptweg 3,5 m breit und fast 60 m lang – den Handwerkern einiges an zimmermännischem Können abverlangten.

Oft war auch das Umland so feucht, daß man einen Graben um die Siedlung zog, der dann auch als zusätzliche Sicherungsmaßnahme gegen Feinde diente. In Groß Raden ist er mit schräg liegenden Holzbohlen ausgekleidet, was der Anlage eine zusätzliche Festigkeit verleiht. Über diese Gräben spannte sich dann eine Brücke, die oft in einem Torhaus münden konnte – wiederum eine Sicherung des Eingangsbereichs. Lag die Burg auf einer Insel, war eine stärkere und vor allem längere Brücke gefragt.

Die Burgen von Behren-Lübchin und Teterow verfügten über solche Zugangswege, aber auch in Groß Raden war die Vorburg über eine 100 m lange und 3 m breite Brückenkonstruktion mit der auf einer Insel vorgelagerten Hauptburg verbunden.

Als Umfassung der Anlage diente oft eine Palisade aus aneinandergereihten Holzbrettern, die mit einem zusätzlichen Wehrgang ausgestattet sein konnte. Areale der Burg, die durch die natürlichen Gegebenheiten wie einen See oder einen Berghang bereits schwer zu überwinden waren, wurden meist nur mit Hecken oder Zäunen in Astflechtwerkkonstruktion ähnlich den Hauswänden (nur ohne Lehm) umgeben.

All diese hölzernen Anlagen – Brücken, Gebäude und Bohlen in Feuchtgebieten oder direkt auf dem Wasser, die Wallkonstruktion selbst und nicht zuletzt auch der Schiffbau – zeigen, daß die Slawen Meister des Holzhandwerks waren und im Umgang mit Axt, Beil und Dechsel einen für das Frühmittelalter einmaligen technischen Standard hatten.

ZENTREN DER MACHT

An solch großen Burgen arbeiteten mehrere hundert Menschen viele Wochen lang. Für Groß Raden hat man errechnet, daß 100 Arbeitskräfte 500 – 800 Tage im Einsatz gewesen sein mußten, um die Anlage fertigzustellen. Da die Wälle und Wehren auch später ständig instand zu halten waren und sie gegebenenfalls an Veränderungen in der Siedlung angepaßt werden mußten, dürfte sowohl der Bau selbst als auch Erhaltung und Reparatur zu den Leistungspflichten der bäuerlichen Bevölkerung gehört haben.

Im Gegenzug fanden die Menschen bei einem Angriff Schutz innerhalb der Festungen, wenn auch nicht immer genügend Platz für alle da war. Wer nicht rechtzeitig kam, mußte in den Wäldern Schutz suchen. Der Chronist Helmold von Bosau berichtet:

„Immer wenn […] Kriegslärm ertönt, verstecken sie das aus der Spreu gedroschene Getreide, das Gold und Silber samt allen Wertsachen in Gruben und bringen Weib und Kind zum Schutz in die Befestigungen oder wenigstens in die Wälder.“

Die meisten Burganlagen wurden vom örtlichen slawischen Adel errichtet und waren entsprechend klein. Viele existierten nur kurze Zeit und wurden bald schon wieder aufgegeben (oder im Kampf verloren), um an anderer Stelle neu errichtet zu werden.

Die neueste Forschung hat erwiesen, daß die frühen slawischen Siedler, die in die Gebiete zwischen Elbe und Oder einwanderten, noch keine Festungen bauten. Erst 100 – 150 Jahre nach der slawischen Landnahme tauchen die ersten Burgen auf, wie dendrochronologische Untersuchungen ergaben (Zählung der Jahresringe des verbauten Holzes, um das Fällungsdatum bestimmen zu können).

Meist stehen die Burgenbauten (Neu- wie auch Ausbauten und Verstärkungen) in konkretem Zusammenhang mit politischen Ereignissen, sprich militärischen Auseinandersetzungen mit den Nachbarn um die Herrschaft im jeweiligen Gebiet. In der Niederlausitz beispielsweise entstanden im 9. und 10. Jh. über 40 Anlagen in einer bis dahin burgenfreien Region – zugleich hören wir in den Quellen von ständigen Kampfhandlungen.

Neben diesen kleineren Adelsburgen gab es die großen Fürstensitze, wie das bereits erwähnte Groß Raden, die Mecklenburg bei Wismar oder Starigard in Holstein. Grundsätzlich stellten die großen Burgen die politischen und häufig auch wirtschaftlichen Zentren der slawischen Stammesgebiete dar. Hier residierte der Stammesfürst, von hier aus pflegte man diplomatische Kontakte, hier liefen die Fäden des Machtgefüges zusammen. Entsprechend hatten diese großen Anlagen auch länger Bestand und konnten sich als Herrschaftsmittelpunkte etablieren.

VON BAUERN UND HANDWERKERN

In vielerlei Hinsicht waren die Bewohner der slawischen Burgen, Siedlungen und auch Einzelgehöfte Selbstversorger. In den kleinen Gärten an ihren Häusern zogen sie Erbsen, Linsen, Ackerbohnen, Möhren, Zwiebeln, Rüben, Hanf, Mohn und Gurken. Daneben bereicherten Kräuter wie Kümmel, Dill, Beifuß, Minze, Meerrettich oder Wacholder die Geschmackspalette.

Der slawische Begriff für Meerrettich ist übrigens überliefert: Er hieß choren oder kren. Auf ihren Äckern bauten die Slawen Weizen, Gerste, Hafer, Hirse, Emmer, Dinkel und Roggen an – von letzterem wird gesagt, er sei überhaupt erst von den Slawen eingeführt worden. Lein diente als Öllieferant wie auch als Faserpflanze zur Herstellung von Seilen etc. Mit einfachen Hakenpflügen mit eisernen Pflugscharen sowie hölzernen Eggen bearbeitete man den Boden.

Der Wald lieferte Nüsse, Beeren, Bucheckern und Pilze, wahrscheinlich auch Eicheln als Tierfutter. Außerdem konnte man hier Wildtiere jagen, die den Speisezettel anreicherten, auch wenn um ein Vielfaches mehr Haustierknochen bei den Ausgrabungen gefunden worden sind als solche von Wildtieren.

Und da die meisten Siedlungen in wasserreichen Gebieten angelegt wurden, stand neben dem zu Hause gehaltenen Vieh auch Fisch in allen Variationen auf dem Küchenplan. Angeln, einfache Netze und Reusen dienten als Fanggerät, transportiert wurde alles in Einbäumen – einfache Boote, die mittels Axt, Beil und Dechsel aus einem kräftigen Baumstamm gehöhlt wurden.

Neben der Landwirtschaft betrieben die slawischen Bauern natürlich auch Viehzucht. Schweine wurden als Fleischlieferanten gehalten, Ziegen und Schafe zusätzlich wegen ihrer Wolle und ihrer Milch, ebenso Rinder, die auch als Arbeitskräfte eingesetzt wurden sowie Pferde. Hühner und Gänse lieferten neben dem Fleisch die nahrhaften Eier. Einen hohen Stellenwert nahm auch die Imkerei ein, lieferte sie doch zum einen Wachs für die Beleuchtung, zum anderen aber vor allem den begehrten (und in diesen Regionen einzigen!) Süßstoff Honig.

Interessant ist, daß die Produktion aus Ackerbau und Viehzucht bei den Slawen auf Überschuß ausgerichtet war. Ein Großteil der erwirtschafteten Lebensmittel mußte an die auf den Burgen lebende Adelsschicht abgegeben werden, außerdem benötigte man Waren zum Tausch für die Handwerker und Händler innerhalb der Siedlungen, denn für handwerkliche Erzeugnisse gab es spezialisierte „Berufe“, wie die zahlreichen Funde in einzelnen Häusern der Burgen und Vorburgen belegen:

Leder- und Fellreste kennzeichnen die Werkstatt eines Gerbers, Sattlers oder Schuhmachers, Brennöfen die Produktion von Keramik, und in Groß Raden beispielsweise gab es ein eigenes Gebäude für Backöfen am Rand der Siedlung, worin Brote aus Sauerteig gebacken wurden (die vor allem aus Roggenmehl, Wasser und Salz bestanden) sowie geerntetes Obst oder Gemüse nach dem Brotbacken gedörrt und Brei oder Grütze nachgegart werden konnten.

Für Schmiedearbeiten gab es ebenfalls eigene Häuser, auch meist am Rand der Siedlungen untergebracht, denn die Feuergefahr für die Wohngebäude sollte so gering wie möglich gehalten werden. In Rennöfen wurde aus Raseneisenerz und Holzkohle als Reduktionsmittel Eisenluppe gewonnen, die noch stark mit Schlacke verunreinigt war. Mittels mehrmaligem Ausheizen und Umschmieden trieb man diese Schlacke aus, bis sich ein kompakter Eisenbarren schmieden ließ. Hieraus wurden Waffen (Pfeil- und Speerspitzen, Schildteile, Schwerter, Helme, Rüstungsteile) und Werkzeuge (Äxte, Beile, Meißel, Sägen, Sicheln) hergestellt, außerdem viele kleine Gerätschaften des Alltags, wie Pferdegeschirr, Sporen, Feuerhaken, Schlüssel, Nägel, Ketten, Scheren, Teller oder Platten. Die Holzkohle selbst wurde übrigens in Kohlemeilern gewonnen, die am Dorfrand beziehungsweise außerhalb der Siedlungsbefestigung errichtet waren.

Feinschmiede stellten Schmuck aus Silber, seltener aus Gold und Bronze her, darunter die typischen Schläfenringe (siehe weiter unten), Anhänger und Fingerringe, die filigran geformt und verziert sein konnten. Ihre Auftraggeber waren meist in der Oberschicht zu suchen, aber auch fremde Händler kauften slawischen Schmuck, um ihn mit heim zu nehmen.

Als Material dienten den Feinschmieden oft arabische oder westeuropäische Münzen, die eingeschmolzen wurden, weil im gesamten slawischen Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern zur damaligen Zeit kaum entsprechende Metalle abgebaut beziehungsweise hergestellt wurden.

Andere Alltagsgegenstände wurden aus Knochen und Geweih gefertigt, beispielsweise Nadeln, Kämme, Messergriffe, Würfel, Spielsteine etc. Körbe und Fischreusen wurden aus Weidenruten und Wurzelfasern geflochten, Seile aus Hanf gemacht. An Drehbänken drechselte man Teller, Schalen, Schüsseln, Becker und vieles mehr.

Lediglich die Textilproduktion scheint nicht in spezialisierter Hand gelegen zu haben, denn es wurden in zahlreichen Gebäuden sowohl Spinnwirtel als auch Webgewichte gefunden, was darauf hindeutet, daß Spinnen, Weben, vermutlich auch Färben und andere mit der Textilherstellung verbundene Arbeitsschritte daheim oder vielleicht auch von den Frauen mehrerer Familien gemeinsam verrichtet wurden.

DER HANDEL

„Sie bewohnen von den Ländern die ergiebigsten an Fruchtbarkeit und reichsten an Lebensmitteln. Sie befleißigen sich des Ackerbaus und Unterhaltserwerbs und sind darin allen Völkern des Nordens überlegen. […] Sie säen in zwei Jahreszeiten, im Hochsommer und im Frühling, und bringen zwei Ernten ein; am meisten säen sie Hirse. […] Ihre Waren gehen auf dem Lande und dem Meere zu den Rûs und nach Konstantinopel.“ (Ibrahim Ibn Jaquub, um 960-965).

Der Handel spielte bei den Slawen eine ebenso große Rolle wie bei den Wikingern und den anderen Völkern, die entlang der Ostsee siedelten. Alles, was man nicht selbst herstellen konnte, was nichtsdestotrotz aber begehrt war, wurde importiert, teils über große Entfernungen hinweg. Dazu zählten zum Beispiel fränkische Glas- und Töpfereiware, aber auch Feinschmiedearbeiten, wie Riemenzungen und Gürtelbeschläge.

Aufgrund der ständigen fränkischen Versuche, die slawischen Gebiete in ihr Reich einzuverleiben – mal mehr, mal weniger erfolgreich – stand man nicht nur auf kriegerischer Ebene häufig miteinander in Kontakt. Bündnisse wurden geschlossen, Tributzahlungen vereinbart, dafür behielten die Slawen weitgehend ihre Eigenständigkeit.

Und immer, wenn slawische Gesandte an die Höfe der Frankenherrscher reisten – sei es in diplomatischer Mission, zur Erfüllung ihrer Tributpflicht oder aus anderen Gründen – kamen sie mit den Erzeugnissen der Franken in Berührung, die fremd und daher entsprechend interessant waren. Umgekehrt hatten sie auch einiges für ihre Handelspartner zu bieten, das im Frankenland hochgeschätzt wurde: vor allem Felle und Honig.

Nachbau eines slawischen Handelsschiffes aus dem 10. Jahrhundert. Oldenburg/Holstein.

DIE ERSTEN GROSSEN HANDELSZENTREN

Daß der Handel aber nicht nur über Land und allein in Richtung Frankenreich verlief, zeigen zahlreiche planmäßig gegründete Siedlungen entlang der slawischen Küsten. Im 8. und 9. Jh. entstanden hier bedeutende wirtschaftliche Zentren für den überregionalen Handel, an denen sich nicht nur Händler, sondern auch Handwerker niederließen, die speziell für den großen Markt produzierten.

Archäologische Untersuchungen haben solche Zentren auf dem Boden des heutigen Deutschland beispielsweise bei Groß Strömkendorf (Reric), Menzlin, Ralswiek auf Rügen, am Barther Bodden auf Usedom und bei Rostock-Dierkow nachgewiesen. Sie waren eingebunden in ein großes Handelsnetz, das den gesamten Ostseeraum umspannte.

Topographisch weisen diese „Frühstädte“, wie sie in der Forschung auch genannt werden, fast alle einheitliche Gegebenheiten auf: Sie lagen an Flußläufen nahe der Küste oder in geschützten Buchten, was einerseits Schutz vor überraschenden Überfällen bot, andererseits aber auch beste Grundlagen für den Bau von Häfen und Anlegestellen.

Ausgrabungen in diesen Handelszentren haben reichliches Fundmaterial zutage befördert, das uns einen umfassenden Überblick über die hier ansässigen Handwerker und Händler bietet. Metallverarbeitung, Guß, Textilherstellung, Kammacherei und Glasverarbeitung dominierten die einheimisch-slawische Produktion auf der einen Seite.

Andererseits läßt sich jedoch auch erkennen, daß ein nicht geringer Teil der hier siedelnden Händler aus dem skandinavisch-wikingischen Raum hergekommen sein muß, die hier mit ihren Familien aus Schweden und Dänemark neue Märkte erschließen wollten – und das mit Erfolg.

Gräber, die als Steinsetzungen in Schiffsform angelegt sind, wie wir sie aus dem wikingischen adeligen Kulturkreis kennen, zeugen vom Wohlstand der skandinavischen Händler, ebenso Grabfunde, die gleich ein ganzes Schiff enthielten, das den Toten ins Jenseits bringen sollte. Solche Bestattungen fanden sich vor allem in Menzlin (Steinsetzungen) und Groß Strömkendorf/Reric an der Wismarbucht (Boote).

Auch der einheimische slawische Adel dürfte die Handelszentren nach besten Kräften unterstützt haben, kamen sie ihm doch in mehrfacher Hinsicht zugute: Sie bedeuteten zusätzliche – und sicherlich nicht geringe – Steuereinnahmen, außerdem die Möglichkeit, an Rohstoffe heranzukommen, die es in ihrem Gebiet nicht gab, und nicht zuletzt auch ein großes Angebot an Luxusgütern und Importware aus allen Teilen der damals bekannten Welt, deren Besitz durchaus als Statussymbole zu werten ist.

Im Laufe des 9. Jh. läßt sich eine neue Entwicklung beobachten: Die florierenden Märkte wurden geschlossen, die Siedlungen aufgegeben. Stattdessen zogen die dort ansässigen Handwerker und Händler in die Vorburgen und Siedlungen der größeren Burgen, also näher an die slawischen Herrscher heran.

Auch wenn die Handelswege dadurch etwas länger wurden – bis dato wickelte man das meiste über die Küstenregionen ab, weil die Importe über das Meer ankamen -, einen Abbruch tat das dem Warenaustausch nicht. Im Gegenteil. Die Funde in den slawischen Burgen des 9. und 10. Jahrhunderts sind reich an Importwaren und Luxusgütern, die eindeutig nichtslawischen Produktionsstätten entstammen.

ZWECKMÄSSIGE KLEIDUNG

„Die Slawenländer sind sehr kalt, und am stärksten ist die Kälte bei ihnen dann, wenn die Nächte mondhell und die Tage klar sind; dann wird es mächtig kalt, und der Frost wird stark; die Erde versteinert, sämtliche Getränke frieren ein, und Brunnen und Sprudel überziehen sich wie mit Gips, so daß sie schließlich wie Stein werden. […] Hungersnot entsteht in allen Ländern des Nordens nicht infolge von Regenmangel und anhaltender Dürre, sondern lediglich infolge von Regenmenge und anhaltender Nässe; der Mangel an Niederschlägen ist bei ihnen nicht von verderblichen Folgen, denn niemand, der davon betroffen wird, scheut ihn wegen der Feuchtigkeit ihrer Länder und starken Kälte derselben. […] Die Kälte ist bei ihnen gesund, auch wenn sie heftig ist, die Hitze aber verderblich; sie können nicht in die Länder der Langobarden [Italien] reisen, denn die Hitze ist dort übermäßig, so daß sie zugrunde gehen.“ (Ibrahim ibn Jaquub um 960/965 über das Klima in den slawischen Gebieten.]

Der islamische Chronist stammte aus wärmeren Gefilden, genauer gesagt aus Spanien, weshalb ihn offenbar das bei uns bestens bekannte Winterwetter einerseits abgeschreckt, aber gleichwohl auch fasziniert zu haben scheint. Und wie bei uns heute war die Kleidung der Slawen an die klimatischen Bedingungen angepaßt.

Vom Fellreichtum profitierend, nutzten sie die Pelze als wärmende Bestandteile ihrer Tracht und weniger zur Zierde oder als Statussymbol. Zeugten pelzverbrämte Ärmelbeschläge oder Kragen im Frankenreich beispielsweise von Reichtum und Adel, dienten sie bei den Slawen in allen Schichten als Schutz vor der Kälte im Winter.

Ebenso wurden Hüte, Mützen und Stiefel mit Fell ausgestattet, um sich warm zu halten. Ansonsten unterschied sich die Kleidung der Slawen nur unwesentlich von denen der zeitgenössischen Wikinger und anderer germanischer Stämme des Früh- und Hochmittelalters (Anmerkung: Das gesamte Kapitel zu Schmuck und Tracht bezieht sich im wesentlichen auf das 9. bis 12. Jh.).

Die Kleidung der einfachen Bevölkerung; oben zusätzlich auch einige Waffen und die Ausstattung eines Pferdes (Rekonstruktionen aus dem Wallmuseum in Oldenburg/Holstein).

Kurze Hemden im Sommer oder als Unterkleidung, längere Tuniken, lose getragen oder mit Gürtel gehalten, dazu lange Hosen, teils mit Gamaschenbindung – so kleidete sich der einfache slawische Mann.

Die Frauen trugen ein kürzeres Ober- und ein längeres Unterkleid, das im Sommer leichter, im Winter aus schwerem Stoff gefertigt war (Leinen, Wolle) und wie bei den Männern locker fallen oder mit Gürtel in der Taille gehalten werden konnte.

Ein V-Ausschnitt am Hals oder einfache Stickereien stellten oft die einzige „Verzierung“ dar. Das Schuhwerk bestand aus Leder und ähnelte ebenfalls den wikingerzeitlichen und germanischen Schuhen. Zum Schutz vor der Kälte dienten außerdem Mäntel und Umhänge.

SCHÖN IST, WAS GEFÄLLT: DER SCHMUCK

Was den Schmuck betrifft, pflegten die slawischen Frauen jedoch eine ganz typische Mode, die in dieser Form lange Zeit von der Forschung als einzigartig in Europa angesehen worden ist: die Schläfenringe.

Inzwischen konnte jedoch nachgewiesen werden, daß auch bei frühmittelalterlichen Germanenstämmen diese Ringe durchaus als Haar- und Kopfschmuck vorkamen, so etwa bei den Franken und den Alamannen. (Inwiefern sich hier jedoch die Kulturkreise überschnitten beziehungsweise der eine vom anderen Trachtenbestandteile übernahm, sei dahingestellt.)

Meist waren sie aus Silber- oder Bronzedraht gefertigt, zuweilen auch aus massivem Eisen. Befestigt wurden sie mit einem federnden Verschluß oder einer aufgebogenen S-Schleife, seltener waren die Enden offen. Hin und wieder konnten sie mit aufgeschobenen Glas- oder Hohlperlen sowie Hülsen aus Silberblech verziert sein.

In zahlreichen Gräbern fand man an den Schläfenringen noch Textil- oder Lederreste, was nahelegt, daß sie wohl an einem Band oder an einer Haube getragen wurden, die man am Kopf oder an den Haaren befestigte. Größere Exemplare tauchen in den Gräbern meist paarweise auf (an jeder Seite des Kopfes ein Ring), die kleineren zu viert oder noch mehr.

Farbiges Glas als Material für Schmuck hatte bei den Slawen einen hohen Stellenwert. Glasperlen wurden an Schnüren oder auf Drähten aufgezogen um den Hals getragen, und aus Glas waren Fingerringe gefertigt.

Interessanterweise befanden sich die meisten Glasproduktionsstätten in Polen und Rußland, einige jedoch auch westlich der Oder. Die Herstellung von buntem Schmuckglas (schwarz, grün, gelb, hellblau, türkis, jeweils uni oder mehrfarbig kombiniert) konnte hier bis in das 14. Jh. hinein nachgewiesen werden. Fingerringe aus geflochtenem Silberdraht tauchen zwar auch in den Bestattungen als Beigaben auf, waren jedoch eher untypisch für Slawen und Skandinavier. Man bevorzugte eindeutig die bunt-durchscheinenden Glasvariationen, im nordwestslawischen Raum auch Buntmetall. Fingerringe tauchen übrigens in erster Linie in Frauengräbern auf.

Auch Bernstein und andere Schmucksteine (Karneol, Amethyst, Bergkristall) fanden Verwendung, beispielsweise als Kettenanhänger oder in Perlenform zu Ketten aneinandergereiht. Grundsätzlich kann man sagen, daß die Verfügbarkeit der Materialien vor Ort mit ausschlaggebend für die Gestaltung der Ketten war – am Meer findet sich häufiger Bernstein, in Richtung Osten mehr Glas, im Binnenland eher Schmuckstein und auch Bein.

Die Nähe zu Handelszentren bestimmte natürlich ebenso die Variantenvielfalt. Weiterhin typisch für die slawische Frauentracht war das Befestigen von Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs am Gürtel: Messerscheide mit darin steckendem Messer, Wetzstein, Feuerstahl, Pinzette, Schlüssel und ähnliches.

Zur Haartracht haben sich in den Frauengräbern bis auf die Schläfen- beziehungsweise Kopfschmuckringe und damit verbundene Kopf- und Stirnbänder sowie Hauben und Kopftücher kaum verwendbare Hinweise erhalten. Was die Frisuren der Männer angeht, gibt es allerdings eine interessante Darstellung in der Heidelberger Ausgabe des Sachsenspiegels, eines hochmittelalterlichen Rechtsbuches, die eine slawische Hochzeitszeremonie zeigt.

Der Bräutigam trägt sein Haar relativ kurz und im Nacken bis hoch auf den Hinterkopf hinauf ausrasiert. Ob es sich hierbei um eine typisch slawische Besonderheit handelt oder einfach um ein einmaliges Beispiel, ist bisher nicht zu klären, da archäologische Beweise und auch Nachrichten aus den Schriftquellen zur Haartracht völlig fehlen.

Die Kleidungsaccessoires der Männer beinhalteten neben dem wie bei den Frauen am Gürtel befestigten Messer und Wetzstein meist auch eine Kette (allerdings eher mit einem einzelnen Bernstein-, sonstigem Schmuckstein- oder Metallanhänger) und – besonders prestigeträchtig – Sporen. Als Beigaben erhielten die Männer natürlich auch ihre Waffen mit ins Grab gelegt (Schwert und Schild bei ranghöheren Adligen, außerdem Pfeil- und Lanzenspitzen, Äxte, Kettenpanzerung), Bestattungen adliger Reiterkrieger enthielten Bestandteile von Zaumzeug, Sätteln, Steigbügeln etc., aber nicht die Pferde selbst.

In manchen Regionen wurden bei den Ausgrabungen zuweilen ausländische Münzen in den Händen der männlichen Toten gefunden; eine Sitte, die von den Archäologen dahingehend gedeutet wird, daß hier ein Händler bestattet lag. In Einzelfällen gab man dem Verstorbenen auch persönliche Gegenstände mit, wie zum Beispiel in Oldenburg ein gefundenes Hnefatafl-Brettspiel.

DIE GÖTTERWELT

Die slawischen Gebiete im Küstenbereich zwischen Elbe und Oder waren die einzigen, die auch nach 1000 noch nicht christianisiert waren, im Gegenteil: Durch die politischen und religiösen Auseinandersetzungen mit den Ottonen und ihren Nachfolgern (vgl. Teil 1) erlebte die slawisch-heidnische Religion einen starken Aufwind, ja manche Forscher sprechen sogar von dem Versuch, eine stammesübergreifende Religion zu etablieren.

Mehrere Chronisten, darunter Widukind von Corvey, Saxo Grammaticus, Adam von Bremen, Thietmar von Merseburg und Helmold von Bosau, berichten über zentrale Heiligtümer, die sich auch archäologisch belegen lassen: Arkona auf Rügen, Wolgast in Vorpommern, Starigard/Oldenburg in Holstein. Sie lagen durchweg nahe bei oder innerhalb eines großen Burgwalls, dem Machtzentrum eines Stammesfürsten. Nur eines ist bis heute nicht eindeutig in seiner Lage identifiziert: Rethra, das von Thietmar von Merseburg beschrieben wird und als sehr bedeutend galt.

Von den Geschichtsschreibern erfahren wir außerdem eine Reihe von Götternamen: Die Obodriten verehrten Radigast in der Mecklenburg, Siva in Ratzeburg, Podaga in Plön und Prove in der Nähe von Oldenburg (das Heiligtum in Starigard/Oldenburg selbst ist nicht mit einer bestimmten Gottheit verbunden).

Die Liutizen beteten in Rethra zu Radigast und Svarozyc, die Ranen in Arkona auf Rügen zu Svantevit und in Garz zu Porevit, Rugiaevit und Pernut. In Wolgast und Havelberg lagen Heiligtümer für Jarovit, in Brandenburg, Stettin und Wollin für Triglav. [Anm. v. Lucifex: eine interessante Namensgleichheit mit dem Berg Triglav im nördlichen Slowenien!]

Die Kultorte selbst scheinen, vertraut man den Chronisten, vom 9. bis 12. Jh. sehr unterschiedlich ausgesehen zu haben. Es gab Tempelbauten (templum, delubrum, fanum) mit Götterbildnissen, aber auch heilige Haine und Wälder zur Verehrung, wobei sich die Schilderungen nur auf dem südlichen Ostseeraum und die angrenzenden Gebiete beziehen. In tschechischen und russischen Quellen des 11. Jh. finden sich zwar auch einige wenige Hinweise auf östlichere Kultplätze, doch sind sie zu allgemein gehalten, um genauere Aussagen treffen zu können, und archäologische Funde fehlen hierzu völlig.

TEMPEL UND HEILIGTÜMER

Vor allem über die Tempelburg von Arkona auf Rügen sind wir dank Helmold von Bosau und Saxo Grammaticus sehr gut informiert. Helmold schreibt:

„Die Ranen aber, sonst auch Runer genannt, sind ein blutdürstiges Volk, das inmitten des Meeres wohnt; sie sind unmäßig dem Götzendienst ergeben, nehmen unter allen Slawenvölkern den Vorrang in Anspruch, haben einen König und ein sehr berühmtes Heiligtum.

Wegen des besonderen Dienstes an diesem Tempel behaupten sie nach dem Ansehen den ersten Rang, und während sie selbst vielen das Joch auflegen, dulden sie für sich keines, da sie wegen der Beschaffenheit ihres Landes unzugänglich sind.

Die Stämme, die sie mit Waffengewalt unterworfen haben, machen sie ihrem Heiligtum zinspflichtig, der Oberpriester genießt bei ihnen größere Verehrung als der König. Wohin das Los weist, senden sie ihr Heer. Siegen sie, bringen sie Gold und Silber in den Schatz ihres Gottes ein und teilen das übrige untereinander.“

Saxo Grammaticus berichtet im Zusammenhang über die Eroberung Arkonas durch die Dänen und das gewaltsame Ende des Heiligtums im Jahre 1168:

„Inmitten der Burg ist ein ebener Platz, auf dem sich ein aus Holz erbauter Tempel erhob, von feiner Arbeit, ehrwürdig nicht nur durch die Pracht der Ausstattung, sondern auch durch die Weihe des in ihm aufgestellten Götzenbildes.

Der äußere Umgang des Tempels erstrahlte durch seine sorgfältig gearbeiteten Skulpturen; er war mit rohen und unbeholfenen Bildwerken verschiedener Art geschmückt. Für die Eintretenden war ein einziger Eingang offen. Das Heiligtum selbst war von zwei Einhegungen umschlossen. Die äußere, aus Wänden zusammengefügt, war mit einem purpurnen Dach bedeckt; die innere, auf vier Pfosten gestützt, erglänzte statt der Wände durch Vorhänge; dieser Teil hatte außer dem Dach und dem wenigen Tafelwerk mit dem äußeren nichts gemein. Im Tempel stand ein gewaltiges Götterbild, den menschlichen Körper an Größe weit übertreffend, wunderlich anzusehen durch seine vier Köpfe und ebenso viele Hälse.“

Helmold fügt über die Eroberung Arkonas an:

„Damals zog König Waldemar von Dänemark eine große Land- und Seemacht zusammen, um sich in das Land der Ranen zu begeben und es sich zu unterwerfen. […] Er ließ das uralte Bildnis des Svantevit, welches von allen Slawen verehrt wurde, hervorholen, demselben einen Strick um den Hals binden und es mitten durch das Heer hinziehen vor den Augen der Slawen, endlich es in Stücke hauen und ins Feuer werfen. Er zerstörte den Tempel samt allem, was darinnen war, und den reichen Schatz plünderte er.“

Helmold und Saxo berichten auch über Riten und Kulthandlungen der Slawen. Ein festliches Mahl mit Tieropfern gehörte in jedem Fall dazu. Vor allem die christlichen Chronisten schildern immer wieder Menschenopfer, doch dies dürfte der Polemik gedient haben, war man doch meist bestrebt, die feindlichen Slawen als blutrünstige Barbaren darzustellen.

Tatsächlich aber erbrachten die archäologischen Auswertungen der Funde in Tempeln und Heiligtümern ein deutliches Übergewicht an Tierknochen. In Arkona beispielsweise entfällt auf das gesamte Knochenmaterial aus dem Tempelbereich, das aus der Zeit zwischen dem 9. und 11. Jh. datiert, nur etwa 1 % Menschenknochen; 97 % stammen von Haus-. 2 % von Wildtieren. Im ausgehenden 11. und vor allem dann im 12. Jh. stieg der Anteil an Menschenknochen auf 15 %, was vermutlich an der Festigung des heidnischen Glaubens gegenüber dem – inzwischen verhaßten und oft stark bekämpften – Christentum gelegen haben dürfte.

Aber selbst dieser Anteil zeigt, daß Menschenopfer Ausnahmehandlungen darstellten, die offenbar nur zu besonderen Anlässen zelebriert wurden. Möglicherweise handelte es sich auch um Hinrichtungen als Strafen für Vergehen, die in einen rituellen Kult eingebunden waren.

Alle Mitglieder der Gemeinschaft nahmen an den Opferungen und Kultfesten teil – auch Frauen und Kinder. Ein Priester (oft auch Oberpriester) mit seinem Tempelgefolge nahm die Kulthandlungen vor, außerdem oblagen ihm Weissagungen, Loswürfe und der Trank vor dem Götterbildnis. Und in seiner Obhut lag der Tempelschatz.

Die Schilderungen von Thietmar von Merseburg und Adam von Bremen enthalten vergleichbare Informationen über die Liutizen. Thietmar schreibt:

„Nicht steht über allen, die zusammen Liutizen heißen, ein besonderer Herrscher. Wenn sie in ihrer Volksversammlung Fragen erörtern, müssen alle einmütig der Ausführung eines Unternehmens zustimmen. […] Geheimnisvoll murmeln die Priester, während sie zitternd die Erde aufgraben, um dort durch Loswurf Gewißheit über fragliche Dinge zu erlangen. Dann bedecken sie die Lose mit grünem Rasen, stecken zwei Lanzenspitzen kreuzweise in die Erde und führen in demütiger Ergebenheit ein Roß darüber, das für heilig gehalten wird. Haben sie zunächst durch Loswurf Antwort erhalten, weissagen sie durch das gleichsam göttliche Tier nochmals. Ergibt sich beide Male das gleiche Vorzeichen, dann setzt man es in die Tat um. Andernfalls läßt das Volk niedergeschlagen davon ab.“

Über das Heiligtum von Rethra berichtet Thietmar:

„Es liegt im Gau der Redarier eine Burg namens Riedegost [Rethra], von dreieckiger Gestalt, mit drei Toren versehen, welche von allen Seiten ein großer, von den Slawen gepflegter und heilig gehaltener Hain umgibt. Zwei dieser Tore stehen jedem in die Burg Hineingehenden offen; das dritte, im Osten gelegene, kleinste weist hin auf einen Pfad zum Meer und gewährt einen gar furchtbaren Anblick.

An diesem Tor steht nichts als ein künstlich aus Holz gebautes Heiligtum, welches anstatt eines Fundamentes die Hörner verschiedener Tiere als Grundlage hat. Die Außenseiten dieses Heiligtums sind mit verschiedenen Bildern von Göttern und Göttinnen, die, so viel man sehen kann, mit bewundernswerter Kunst in das Holz hineingemeißelt sind, verziert; innen aber stehen von Menschenhänden gemachte Standbilder von Götzen, mit ihren Namen am Fußgestell, furchtbar anzuschauen, denn sie stehen da in voller Rüstung mit Helm und Harnisch.

Um dies alles sorgfältig zu hüten, sind von den Slawen besondere Priester angestellt, die, wenn die Leute hier zusammenkommen, um den Götterbildern zu opfern und ihren Zorn zu sühnen, allein sitzen bleiben, während alle anderen stehen.“

Die hier erwähnten Verzierungen der Außenseiten und die „von Menschenhänden gemachten Standbilder von Götzen“ weisen deutliche Parallelen zu den Ausgrabungsergebnissen des Tempels in Groß Raden auf.

War dieser Tempel nach den Vorbildern von Rethra konstruiert worden? Grabungen im Bereich einer Schiffsanlegestelle in Ralswiek auf Rügen förderten sein sogenanntes Brettidol zutage, ein Götterbild, das aus einem Holzbrett gefertigt wurde und ebenfalls den mit menschlichen Formen verzierten Planken der Schmuckfassade des Groß Radener Tempels stark ähnelt. Sahen demnach vielleicht alle Tempel ähnlich aus? Wir wissen es nicht.

GÖTTERBILDER

Slawische Götterbilder zeigen oft mehrköpfige Gottheiten; die Forschung deutet das als Darstellung der Weitsicht der Götter, die alles sehen und denen nichts entgeht. (Rekonstruktion einer Stele, die möglicherweise den Gott Svantevit zeigt; Wallmuseum Oldenburg/Holstein.)

Götterbildnisse und –figuren scheinen jedoch bei allen slawischen Stämmen verehrt worden zu sein. Große Bedeutung haben zum Beispiel die beiden hölzernen Figuren, die 1969 auf der Fischerinsel im Tollensesee bei Neubrandenburg gefunden wurden und die vermutlich im Freien aufgestellt waren.

Sie stammen aus dem 12. Jh. und werden von der Forschung als Hinweis auf ein Heiligtum im Bereich des frühstädtischen Znetrums in der Lieps angesehen. Eine der beiden Figuren stellt eine Frau das mit starker Herausarbeitung der Geschlechtsmerkmale. Bei der anderen handelt es sich um eine mannshohe Doppelkopffigur in Stelenform.

Neben diesen hölzernen Bildnissen kennen wir auch Reliefsteine, die slawische Götterdarstellungen enthalten. Interessanterweise sind viele von ihnen beim Bau von Kirchen integriert worden. Die Bildsteine von Altenkirchen und Bergen auf Rügen beispielsweise zeigen Männerfiguren mit Bart, wobei der sogenannte „Svantevitstein“ an der Kirche von Altenkirchen ein Füllhorn in den Händen hält. Im Fundament der Wolgaster Kirche ist der „Jarovitstein“ eingemauert, dessen Figurendarstellung eine Lanze in der rechten Hand trägt. Beides, Füllhörner und Lanzen, sind als göttliche Symbole anzusprechen.

Die Chronisten geben uns ebenfalls einige Hinweise auf das Aussehen großer slawischer Götter(stand)bilder. So schreibt Saxo Grammaticus über dasjenige von Arkona im Detail:

„Zwei Hälse zeigten nach vorn und zwei nach hinten und zwar so, daß sowohl nach vorn als auch nach hinten ein Kopf schaute. Der Bart war kurz geschnitten, die Haare geschoren, und es sah aus, als ob der Künstler absichtlich den Haarschnitt der Inselbewohner von Rügen wiedergegeben hätte. In der rechten Hand hielt er ein Horn, mit Erz geschmückt.“

Die Mehrköpfigkeit slawischer Gottheiten wird in der Forschung meist als Sinnbild für die Weitsicht gedeutet, ein Symbol also dafür, daß die Gottheit alles sieht und ihr nichts entgeht.

Neben den großen Standbildern in den Kultbauten gab es aber auch andere Darstellungen, wie ein Biograph Bischof Ottos von Bamberg im Rahmen seiner Mission von 1125/26 in Stettin und Wollin berichtet:

„Durch das Wirken des Bischofs haben sie die größeren und kleineren Götzenbilder, die sich im Freien befanden, verbrannt; gewisse törichte Leute verbargen indessen heimlich bei sich gold- und silbergeschmückte, handliche Statuetten von Götzenbildern.“

Funde aus Wollin und Svendborg belegen solche Handstatuetten des vierköpfigen Svantevit.

Waren sie hier aus Holz gearbeitet, überwiegen im westlichen Slawengebiet die Miniaturgötterstatuen aus Metall, und im ostslawischen Bereich waren sie sogar so klein, daß man sie als Anhänger einer Kette um den Hals trug (Fund aus Nowgorod) oder als „Taschengötter“ mit Amulettcharakter bei sich tragen konnte (Fund aus Schwedt).

Die Forschung sieht solche kleinen Göttersymbole als Bestandteile des persönlichen Glaubens beziehungsweise der privaten Kultpraxis an, wohingegen die größeren Standbilder im Freien und in Tempelanlagen der Priesterschicht vorbehalten waren und/oder bei öffentlichen Kulthandlungen eine wichtige Rolle spielten.

DIE CHRISTIANISIERUNG

Wie wir schon in Teil 1 gesehen haben, verlief die Missionierung der Slawen nur schrittweise und war von ständigen Rückschlägen gekennzeichnet. Begonnen hatte sie zwar schon im 8. und vor allem dann im 9. Jh.; im 10. und 11. Jh. hatten sich auch erste Verwaltungsstrukturen der Kirche etablieren können, doch waren sie im Zuge der großen Aufstände ihrer Macht beraubt und dazu verdammt worden, als reine Titularbistümer ohne wirkliche Amtsgewalt vor sich hin zu vegetieren.

Es dauerte bis weit in das 12. Jh. hinein, bevor das Christentum in den slawischen Regionen Fuß fassen konnte. Erst kurz vor 1300 nahmen die Ranen auf Rügen unter ihrem Stammesfürsten Jaromar als letzte die neue Religion an, nachdem Waldemar von Dänemark schon Jahre zuvor den Svantevittempel von Arkona zerstört hatte.

Im Zuge der „Deutschen Ostsiedlung“ überlagerte nun auch die westliche Kultur die slawische, die Christianisierung zog sich flächendeckend durch die oberen wie die unteren Bevölkerungsschichten.

Die ansässigen slawischen Bevölkerungsgruppen gingen nach und nach in den neu geschaffenen deutschen Siedlungen mit all ihren Neuerungen in Politik, Verwaltung, Handel, Wirtschaft, Kultur und Religion, ja sogar der Sprache auf und verschwanden völlig aus dem Licht der Geschichte.


Quelle und Kommentare hier:
https://morgenwacht.wordpress.com/2019/01/30/die-slawen-teil-2-alltag-wirtschaft-religion/