Die Karlsbader Beschlüsse

von Hadmut Danisch

Ich schrieb neulich, ich hätte das Gefühl, gerade auf einmal einfach alles verstanden zu haben. Gerade ist mir noch was untergekommen, wonach ich noch so ein kleines Tüpfelchen mehr verstanden habe.

Ich hatte ja gerade über meine aktuellen Erkenntnisse aus Museumsbesuchen rund um den Kampf Nationalisten gegen Kommunisten gebloggt. Durch den Besuch im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt in Berlin bin ich darauf gekommen, dass man gegenüber der Oktoberrevolution nochmal um 100 Jahre zurück gehen muss, bis zu den Karlsbader Beschlüssen von 1819 und der Meinungsunterdrückung und Zensur von damals, woraus dann mit der Reichsverfassung Grundrechte wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs-, Wissenschaftsfreiheit und die Abwesenheit von Zensur hervorgingen, denn das alles wollte man damals verbieten beziehungsweise eine Zensur vorschreiben. Die Karlsbader Beschlüsse ergingen aus der schieren Angst vor Revolution und bezogen sich besonders auch auf Universitäten.

Nun wollte ich den genauen Wortlaut mal nachlesen und habe zumindest an der Uni Leipzig ein paar Fragmente gefunden. Beispielsweise eine 200 Jahre alte Version des Netzdurchsetzungsgesetzes:

2. “Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse”

§ 1: “Solange als der gegenwärtige Beschluß in Kraft bleiben wird, dürfen Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, deßgleichen solche, die nicht über 20 Bogen im Druck stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden. Schriften, die nicht in eine der hier namhaft gemachten Classen gehören, werden fernerhin nach den in den einzelnen Bundesstaaten erlassenen oder noch zu erlassenden Gesetzen behandelt. Wenn dergleichen Schriften aber irgend einem Bundesstaate Anlaß zur Klage geben, so soll diese Klage im Namen der Regierung, an welche sie gerichtet ist, nach den in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Formen, gegen die Verfasser oder Verleger der dadurch betroffenen Schrift erledigt werden.”

Wie schon beschrieben ging es damals ja auch besonders gegen Universitäten. Und dann das:

3. “Provisorischer Bundesbeschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln”

“§. 1. Es soll bei jeder Universität ein mit zweckmäßigen Instructionen und ausgedehnten Befugnissen versehener, am Orte der Universität residirender, außerordentlicher landesherrlicher Bevollmächtigter, entweder in der Person des bisherigen Curators oder eines andern, von der Regierung dazu tüchtig befundenen Mannes angestellt werden.
Das Amt dieses Bevollmächtigten soll sein, über die strengste Vollziehung der bestehenden Gesetze und Disciplinar-Vorschriften zu wachen …

§. 2. Die Bundesregierungen verpflichten sich gegeneinander, Universitäts- und andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht oder Ueberschreitung der Grenzen ihres Berufes, durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüther der Jugend … ihre Unfähigkeit … an den Tag gelegt haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen …
Ein auf solche Weise ausgeschlossener Lehrer darf in keinem andern Bundesstaate bei irgend einem öffentlichen Lehr-Institute wieder angestellt werden.

§. 4. Kein Studirender, der durch einen von dem Regierungs-Bevollmächtigten bestätigten … Beschluß eines akademischen Senats von einer Universität verwiesen worden ist, … soll auf einer andern Universität zugelassen … werden.”

Das mit den landesherrlichen Bevollmächtigten in § 1, die über die strengste Vollziehung der bestehenden Gesetze und Disziplinarvorschriften wachen, hört sich verdammt nach Gleichstellungsbeauftragten an.

§ 2 und 4 hören sich aber verblüffend exakt nach dem an, was mir damals an der Uni Karlsruhe passiert ist. Ich habe Kryptographie und Abwehr staatlicher Kommunikationsüberwachung geforscht, und das fand man anscheinend wohl staatsfeindlich und revolutionsfördernd. Man sagte mir ja, der Doktor an sich interessiert sie nicht, den könnte ich haben, wenn ich mich doof stelle, Fehler in die Dissertation einbaue, mich durchfallen lasse, nochmal eine andere schreibe und die schlechtestmögliche Note hinnehme, weil man mich aus dem Wissenschaftsbereich heraushaben wolle. Das hörte sich exakt so an, wie das, was da in diesen Beschlüssen steht. Und man kommt danach auch nirgendwo sonst mehr unter.

Man muss sich mal die Frage stellen, ob alles, was da heute läuft, vom Akademikermord über Gleichstellungsbeauftragte und political correctness bis hin zu Maas’ Netzdurchsetzungsgesetz, eine Neuauflage der Karlsbader Beschlüsse ist. Denn auffällig ist ja, dass nicht nur in den USA, sondern auch hier Redner davon abgehalten werden, unbotmäßige Reden zu halten – oft gewaltsam von der Antifa als politischer Schlägertruppe.

Wir sind wieder in einem Zensurstaat, und der Staat übt die Zensur über Facebook (an Stelle von Verlagen) und gewaltsam über die Antifa aus.

Vor 200 Jahren gab es zu Zensur und Karlsbader Beschlüssen eine interessante Karikatur:

Wikipedia schreibt dazu:

Die acht auf dem Bild abgebildeten Professoren sind mit Maulkörben versehen, was die Radikalität des politischen Systems hervorhebt. Sie haben keine Chance mehr etwas zu sagen, ihre Schriften wurden verboten und nun bleibt ihnen nur noch das Denken, daher der Denker-Club. Dass für die Gedanken im Denkerclub eine Gesetzestafel mit Regeln aufgestellt ist, steht dafür, wie weit der Staat in die Alltagspolitischen Prozesse der Menschen eingreift. Über den Köpfen hängt eine Tafel mit der Aufschrift: „Wichtige Frage, welche in heutiger Sitzung bedacht wird: Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?“ Dies symbolisiert den Zeitdruck, unter dem das deutsche Volk steht.

So gesehen fühle ich mich, als hätte man mich mit so einem Maulkorb mit an diesen Tisch gesetzt.

Gruselig ist, dass man damals eine Verfassung gegen solche Zensur und Unterdrückung von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit erstellt hat. Heute haben wir ein Bundesverfassungsgericht, das über ein in diesen Grundrechten fast sinn- und fast wortgemäß übernommenes Grundgesetz schützen soll, sich hier aber genau gegenteilig verhält, auf der Seite der Zensoren und Unterdrücker steht.

Ich kann mich erinnern, den Namen Kotzebue und auch diese Karikatur in der Schule im Geschichtsunterricht gehört, gesehen, gelesen zu haben. Ich habe damals überhaupt nichts davon verstanden, es mir nicht gemerkt, es hat mich nicht interessiert. Nutzloses Auswendiglernen und Abfragen von Jahreszahlen. Jetzt, 40 Jahre später, ist das plötzlich hochrelevant – und in gewisser Weise spannend – für mich geworden.

Kommt das heute im Geschichtsunterricht eigentlich noch dran? Wenn ja, wie?


Quelle und Kommentare hier:
http://www.danisch.de/blog/2018/03/04/die-karlsbader-beschluesse/