Deutschland 2018: Die bürokratische Diktatur

von Max Erdinger

Vorausgesetzt, Freiheit sei tatsächlich als nichts anderes zu begreifen, denn als die bloße Summe der persönlichen Freiheiten, welche der Einzelne im Gemeinwesen hat, böte sich ein entlarvender Vergleich mit den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts an. Welche „Freiheiten“ haben wir heute – und welche hatten wir damals? –  Natürlich,  „Freiheiten“ sind ein Euphemismus für Gestattungen, Erlaubnisse, Genehmigungen und Ausnahmegenehmigungen. Das aber einmal außer Betracht gelassen …

Es ist allemal eine Überlegung wert, wie wohl – und zu wessen Wohl und Frommen – die jahrzehntelange „Befreiung des Einzelnen von überkommenen Zwängen“ (Emanzipation) im Jahre 2018 ausgegangen ist. Die Hölle sei Kleinkram dagegen, das Volk hätte sich in ein bürokratisches Monstermaul  hineinemanzipiert. Sagt der Teufel persönlich.

Früher wurden Sie im Radio mit „Verehrte Hörerinnen und Hörer!“ angesprochen, heute mit „Hi Leute“ und „Du“. Und zwar auf Bayern 3, einer Hörfunksparte des Bayerischen Rundfunks. Per „Demokratieabgabe“ finanziert.

Hörprobe

„Ihr“ steht wieder mal im Stau. Macht nichts, Leute. Wir machen euch die gute Laune. Wir sind die Profis. Wir wissen, wie man „Radio machen“ muß, damit ihr frohgemut stillsteht und alles für paletti haltet. Seid Teil unserer stets gutgelaunten „Community“, ihr Termindruckgepeitschten. Lächelt genau so debil, wie unsere Moderatorenbeiträge sind – und alles ist sozialverträglich. Echt groovy. Wer wird schon streiten wollen im Stau? – Na eben, der Streit ist umstritten.

Kennt „ihr“ eigentlich schon den neuesten Trump-Witz und eure neuesten Rechte? Ihr dürft ab heute in der linken Spur langsamer fahren als die Rechtsraser in der rechten – und sie dürfen trotzdem nicht rechts an euch vorbei. Geiles Recht im gemeinsamen Kampf gegen das Pack, oder?

Vor fünfzig Jahren durften Sie noch so schnell fahren wie Sie wollten, resp. so schnell, wie Ihre lahme Kiste von damals eben fahren konnte. Die Tempo 100-Regel außerorts gilt erst seit etwa 1970, wenn ich mich recht erinnere. Anschnallen mussten Sie sich auch nicht. Ihr Auto hatte wahrscheinlich weder Gurte noch Kopfstützen, geschweige denn eine teleskopartige Lenksäule oder gar Airbags. Wenn es krachte, dann oft mit tödlichen Folgen.

Damals gab es trotz wesentlich weniger Verkehr etwa dreimal so viele Verkehrstote wie heute. Das heißt: Die Knallköpfe, die damals zu schnell gefahren sind, aus der Kurve flogen oder gegen den Baum rasten, bezahlten ihre Fehler mit dem Leben und hörten dadurch auch auf, eine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein. Heute überleben sie das und gefährden die Allgemeinheit einfach mit einem neuen Auto weiter. Davon hat außer den Knallköpfen niemand etwas. Das aber nur nebenbei.

Der Punkt ist nämlich ein anderer: Der Staat fühlte sich bemüßigt, die Sache mit der Verkehrssicherheit selbst in die Hand zu nehmen. Rein statistisch betrachtet, war das ein erfolgreicher Zug. Worüber aber niemand redet, das ist der Preis, den dieser Erfolg hatte. Der ist nämlich hoch.

Schritt für Schritt zog der Staat Kompetenzen an sich, die früher ganz die Ihrigen gewesen wären. Es ist nicht einzusehen, warum Sie Bußgeld an die Staatskasse abdrücken müssen dafür, daß Sie sich eventuell nicht angeschnallt haben. Sie als Fahrzeuglenker sind dafür verantwortlich, mögliche Unfallfolgen so gering wie möglich zu halten, nicht der Staat.

Wenn Ihre Versicherung sagt, daß sie für die medizinischen Behandlungskosten nicht aufkommt, weil Sie bei einem Unfall nicht angeschnallt waren, dann ist das verständlich – und Sie haben ein finanzielles Problem zum gesundheitlichen obendrauf. Gut so.

Was allerdings den Staat dazu berechtigt, Ihnen Geld abzuknöpfen dafür, daß Sie nicht angeschnallt waren – das konnte mir bisher keiner schlüssig erklären. Der Staat hätte zu respektieren, daß Sie schon wissen werden, warum Sie sich nicht angeschnallt haben. Es geht ihn einfach nichts an. Das ist aber nur eines von -zig Beispielen für Ihre Entmündigung.

Was man darf

Egal, was Sie heutzutage in Deutschland tun wollen: Ob es ein Haus ist, das Sie auf Ihrem eigenen Grundstück bauen wollen, ob Sie einen kleinen Geschäftsbetrieb eröffnen wollen; mit Ihrem Motorradclub ein Festchen für die befreundeten Clubs organisieren wollen, – ohne den Staat und seine Auflagen entweicht in diesem Lande keinem bevormundeten Arsche mehr ein fröhlicher Furz.

Und alle lassen sich das bieten. Es geht den Staat aber nichts an, ob Sie lieber nüchtern bleiben, kiffen oder saufen wollen. Warum nicht? Weil er nicht Ihr Leben lebt! Das leben Sie selbst!

Sie verantworten die Konsequenzen Ihres Tuns, niemand sonst. Sie leben in Freiheit, nicht mit Ihren „Freiheiten“ zusammen als Entmündigter im Kindergarten. Es spielt auch keine Rolle, ob Sie das für vernünftig halten, wie die Dinge in Deutschland inzwischen geregelt sind.

Vernunft ersetzt Freiheit nicht. Ganz im Gegenteil: Wer sich von einem Staat, der bei seinen kollektivistischen Betrachtungen ständig die Dümmsten zum Maßstab seiner Gefahrenprognose nimmt, vorschreiben läßt, daß er sich so zu verhalten hat, als sei er einer dieser Dümmsten, der verblödet selbst mit der Zeit.

Inzwischen sind wir so weit, daß uns der Staat vorschreibt,
wie wir zu denken und zu reden haben.

„Sozialverträglichkeit“ ist allerdings kein Kriterium für eine geistreiche Rede. Ein Ausschlußkriterium muß sie deswegen zwar auch nicht sein, aber Voraussetzung für ihre Berechtigung ist sie keinesfalls. Halten Sie einfach eine Rede, wenn Sie wollen, die sozial völlig unverträglich ist,  – und leben Sie selbst mit den Konsequenzen, die sich für Sie ergeben.

Wer sich in den Fanblock von Borussia Dortmund stellt, um dort lauthals zu singen:

„Was ist gelb und stinkt nach Hund – Borussia Dooortmund!“,

– und dafür schwer auf die Fresse bekommt, der braucht nicht hinterher zum Staatsanwalt zu rennen und sich darüber zu beklagen, daß sein Recht auf körperliche Unversehrtheit sträflich mißachtet worden sei.

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Der völlig kontraproduktiven Ermächtigung des Staates zur Nanny durch den Einzelnen in seinem Staatswahn und in Wahrnehmung seiner „Rechte“ und „Freiheiten“.

Die Ergebenheitsadresse

Glauben Sie mir: Es ist dem Staatsanwalt völlig wurscht, ob Sie sich dadurch beleidigt fühlten, daß Sie eines nackten, ausgestreckten Mittelfingers angesichtig wurden. Er weiß genau, wie viele Beleidigungen Sie sich tagtäglich nur deswegen widerspruchslos bieten lassen, weil Ihnen nicht bewußt wurde, wie sehr Sie beleidigt worden sind. Immerhin akzeptieren Sie unwidersprochen, daß man Sie für einen Trottel hält, der sich bestimmte Rasierklingen deswegen kauft, weil er auf einem Werbeplakat einen rasierten Beau gesehen hat, der von einer vollbusigen Schönheit ein Küsschen auf die frischrasierte Wange bekommt.  Sie sind kein Beau. Sie könnten sich rasieren, womit Sie wollen, ohne daß eine Schönheit Sie dafür abbusselt.

Das Werbeplakat sagt: „Wir halten dich für einen derartig manipulierbaren Deppen, daß wir davon überzeugt sind, dieses Plakat sei geeignet, dich dein Geld in unsere Kasse stecken zu lassen.“

Und das wäre eine Beleidigung, wenn man sie wahrnehmen würde. Nein, der Staatsanwalt nimmt Ihre Anzeige gegen den Mittelfingrigen deswegen gerne entgegen, weil sie ihm damit etwas beweisen. Sie beweisen damit,  daß Sie den Staat als Kindergärtnerin akzeptiert haben. Eine solche Ergebenheitsadresse wird gerne dadurch honoriert, daß der Mittelfingrige eine übergebraten bekommt – und zwar „im Namen des Volkes“ – und sehr zu Ihrer eigenen Genugtuung. Seltsamerweise sind Sie aber der Überzeugung, die „Gesellschaft“ sei in den vergangenen Jahrzehnten immer „freier“ geworden.

Kultur und Sitte

Vor sechzig Jahren haben Herren, die sich auf dem Bürgersteig begegnet sind, noch voreinander ihre Hüte gezogen und sich gegenseitig gegrüßt.

„Meine Verehrung, Herr Kirchenmusikdirektor Müller!“

– „Ganz die meinige, Herr Oberstudienrat Meier!“.

Heute:

„Was kuckst du, Kartoffel? Isch mach´disch Messer!“

– Wahnsinnig freiheitlich. Früher gab es ein Handzeichen:

„Oh, Entschuldigung, daß ich Ihnen gerade die Vorfahrt genommen habe!“

Heute nicht mehr:

„Was regst denn du dich auf da hinter mir, du dumme Sau!?“

Der Bürger von heute ist im Vollbesitz einer Summe von „Befreitheiten“ zu einem verantwortungslosen, verantwortungsunfähigen, endlos durch den Staat „berechtigten“ Asozialen verkommen – und er begreift das als einen zivilisatorischen Fortschritt. Er ist „befreit“ von allem, was ihm früher lästig gewesen zu sein scheint:

Selber denken, selber entscheiden und selber verantworten.

Sein je individuelles Gewissen hat er beim Sozialstaat abgegeben. Soll der sich darum kümmern. Und bei Gott, der kümmert sich. Und wie!

Bezahlen Sie!

Die Steuerquote liegt bereits bei weit jenseits der 50 Prozent, so sehr kümmert sich der Staat um die Angelegenheiten, die ihn gar nichts angehen würden, wenn sie der „freie Bürger“ nicht, vermeintlich bequemerweise, bei ihm abladen würde. Freilich läßt sich der Staat das gerne gefallen, dient doch jede Kompetenzenübertragung des Bürgers auf ihn selbst seiner weiteren Ermächtigung hin zur omnipräsenten Allmacht.

Die deutsche Staatsgläubigkeit ist es, die in letzter Konsequenz noch immer in einen totalitären Staat mündete. Gerade der totalitäre Staat ist es aber, der seine hässliche Fratze in einer komplett abgehobenen Bürokratenkaste zeigt, die sich verständlicherweise für unangreifbar hält und den vormals freien Bürger drangsaliert bis zum Abwinken.

Früher: Wo eine Straße hinführte, da durften Sie auch hinfahren. Heute nicht mehr.

Früher: Obacht Gefahrenstelle! Heute: Wahnsinnige Gefahr voraus, nicht schneller als dreißig!

Früher: „Stört es Sie, wenn ich rauche?“ Das ungute Gefühl, das damals jemanden beschlich, der geantwortet hätte, daß es ihn stört, ist sozusagen in einer „sozialverträglichen Endlösung“ aufgegangen. Der Staat hat dafür gesorgt, daß er es nicht mehr zu haben braucht. Heute gilt: Rauchen per Gesetz verboten!

Wie schön für die mentalen Fahrradhelmchenträger. Sie brauchen sich nicht mehr mit sich selbst auseinanderzusetzen. Heute haben sie einfach recht! Wir erleben einen beispiellosen Verfall von Kultur und Sitte. Kultur und Sitte wurden eingetauscht für „Recht“, „Berechtigung“, die verschiedensten „Gerechtigkeiten“, von denen wiederum die beliebteste die „Selbstgerechtigkeit“ ist.

In einem solcherart degenerierten Volk ist es natürlich möglich, ein kollektiviertes „Gutsein“ zu etablieren, indem man es als Verlockung darstellt, komplikationslos sozialverträgliches Mitglied in der Masse infantilisierter Arschlöcher zu werden.

Der Humor der Angepassten

Ob man selbst zu einer solchen Kreatur herabgesunken ist, läßt sich leicht überprüfen. Müssen Sie lachen über die „Witze“ von Oliver Welke in der „ZDF heute-show“? Wenn ja, dann wäre es an der Zeit, sich Sorgen zu machen.

Oliver Welke ist der mediale Frontmann der Selbstgerechten. Seinen „Witzigkeiten“ dient als unausgesprochene Voraussetzung, daß es ein „Wie-wir-ja-alle-wissen“ gibt, aus welchem er das Konzept ableitet, diejenigen durch den Kakao zu ziehen, die realiter oft sehr viel klüger sind als er selbst und seine Zuschauer – und lediglich Welkes grundlos vorausgesetzten Gewißheiten nicht entsprechen. Welke ist die Verkörperung des Horrorhumors eines von allem befreiten Pöbels.

Und so lebt also dieser deutsche Pöbel ohne zu Mucken und zu Murren mit einer Bürokratenkaste, die jede Kfz.-Zulassung zum Hürdenlauf umgestaltet, für alles Nachweise, Bescheinigungen und Beglaubigungen verlangt, sich Öffnungszeiten erlaubt, die jedem Berufstätigen Hohn sprechen, Gehwege vor Gastsätten auf den Millimeter genau vermißt, um über die Zulässigkeit einer Außenbestuhlung zu befinden und die Auflagen zu formulieren, unter denen sie womöglich zu gestatten ist – usw.usf. – „Freiheit“ eben. „Menschliche Gesellschaft“, auch.

In diesem Land läßt keiner mehr einen Furz,
den nicht ein Bürokrat vorher genehmigt hat.

Und meinereiner kann es nicht glauben, daß das wirklich alle so und nicht anders haben wollten. Wenn doch: Frau Merkel ist zu Recht „Nudging-Kanzlerin“.


Quelle und Kommentare hier:
https://www.journalistenwatch.com/2018/06/22/deutschland2018-die-diktatur/