DAU-Alarm

Von (real)Asmodis

Vor einigen Jahren, als ich noch als Lehrkraft in der IGS Rodenberg tätig war, da fragte mich einer meiner Schüler: “Kennst du dich mit Computern aus?”

Und ich antwortete:

“Wenn dir jemand sagt, dass er sich mit Computern auskennt, dann dreh’ dich um und renn’ so schnell du kannst!”

Ich behaupte jedenfalls nicht, mich mit Computern auszukennen, obgleich ich sowas in der Art mal in einem “vergangenen Leben” gelernt habe. Sicher, hin und wieder bittet man mich mal um Hilfe, wenn ein Rechner nicht mehr läuft und dann versuche ich eben – ohne Garantie, weil wenn schon was kaputt ist, das kann man auch nicht mehr kaputt machen – die Gurke auf der Basis von Nachbarschaftshilfe wieder zum Laufen zu bringen. Zum eigenen Erstaunen klappt das auch in den meisten Fällen. Das hat sich rumgesprochen.

In diesem Kontext erreichte mich kürzlich ein Hilferuf. Das Gespräch verlief ungefähr wie folgt:

Er: “Ich wollte alte E-Mails aufrufen, aber die sind alle weg! Einfach so! Meine Tochter sagte, dass alte Mails automatisch gelöscht werden! Kann ich die irgendwie zurückholen?”
Ich: “Ja, einige Mailprogramme machen das. Ist aber oftmals nur ‘ne Sache der Einstellung. Ob deine alten Mails wirklich weg oder nur archiviert worden sind kann ich nicht sagen.”
Er: “Dann könnten die Mails also noch da sein?”
Ich: “Möglicherweise. Welches Mailprogramm verwendest du denn? Wenn ich weiß, welches dein Mailprogramm ist, dann kann ich mich da mal schlau machen.”
Er: “Kann das Microsoft sein? Wo finde ich denn das Programm?”
Ich: “Wenn du dein Mailprogramm aufmachst, steht dann da irgendwo irgendwas von Outlook? Oder stattdessen Thunderbird, Opera Mail, PopMan, SeaMonkey, Sylpheed, Windows Live Mail, K9Mail, Google Mail, Inbox usw.? Den Namen des Mailprogramms bräuchte ich schon. Ohne den geht nämlich gar nichts …”
Er: “Wie aufmachen?”
Ich: “Na, einschalten, aktivieren, aufrufen, starten …”
Er: “Wie geht das?”
Ich: “Hör’ mal, wenn du schonmal Mails aufgerufen hast, dann hast du doch dazu dein Mailprogramm starten müssen oder wie konntest du sonst an die Mails gelangen?”
Er: “Nee, das geht bei mir immer alles automatisch!”
Ich: “???”
Er: “Wenn eine Mail eintrifft, dann erscheint auf dem Bildschirm eine Benachrichtigung. Da klicke ich dann drauf und dann kann ich die Mail lesen.”
Ich: “Und wenn du eine Mail schreiben willst?”
Er: “Das mache ich nur ganz, ganz selten. Dann muss ich immer abwarten, bis eine Mail gekommen ist. Wenn ich die gelesen habe, dann kann ich auch eine schreiben bzw. darauf antworten.”

Das war dann der Moment, in dem ich in die Schreibtischplatte gebissen habe: Typischer Fall von DAU-Alarm! Die Geschichte ist noch nicht zu Ende und da wird mich in Kürze wohl auch noch so einiges erwarten. Zwar unglaublich, aber wirklich wahr!

Mit einem Computer kann man viel Blödsinn anstellen. Mit einer Waffe oder mit einem Auto auch. Bei der Waffe benötigt man deswegen eine Sachkundeprüfung, und zwar den Waffenschein. Beim Auto auch – nämlich den Führerschein.

Beim Computer kann man noch soviele technische Sicherungen einbauen, doch sind die völlig sinnlos, wenn sich der Benutzer wie ein Vollidiot verhält. Warum also nicht auch beim Computer einen Sachkundenachweis – eine Art von “Computerführerschein” – vorsehen? Das muss gar nichts Großes sein, nur eben so die wesentlichen Grundlagen umfassen, also zum Beispiel:

1. Was ist ein Computer?
2. Betriebssysteme und Funktionsweisen
3. Netzwerke
4. Gefahren
5. Softwareausstattung
6. Zubehör
7. Rechtliches
8. Diskussion

Gehen wir die einzelnen Punkte nun einmal durch.

Was ist ein Computer?
In diesem Kursteil würden verschiedene Formen von Computern vorgestellt und auf die Unterschiede hingewiesen werden. Die Spanne reicht dabei vom Raspberry Pi über Handy und Tablet bis hin zum PC. Die wichtigsten Komponenten (Mutterbrett, IO-Karte, RAM, CPU, Speichermedien) sowie deren Leistungsmerkmale müssten angesprochen werden. Letzteres beugt Fehlkäufen vor. Denn ich habe schon Leute erlebt, die versuchten, eine 3TB-Festplatte an Windows 7, das nur max. 1,5 TB verwalten kann (im eigenen Test: absolute Schmerzgrenze 1,63 TB), anzuschließen.

Betriebssysteme und Funktionsweisen
An dieser Stelle sollte mindestens Linux, Apple OS und Windows gleichberechtigt erwähnt werden. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme müssten zur Sprache kommen, auch darf der Hinweis darauf, dass man mit Linux leistungsschwach gewordenen Windows-Rechnern mitunter ein zweites Leben einhauchen kann, nicht fehlen. Schließlich ist selbstverständlich die Erläuterung dessen, was ein Betriebsssystem eigentlich macht, ebenfalls notwendig. Das Ganze natürlich nicht zu technisch, damit auch “Lieschen Müller vun’t Dörpe” es versteht.

Netzwerke
Zum Thema Netzwerke fällt jedem zwar sofort das Internet ein, doch auch das Wissen um P2P-Netze und Intranets kann nicht schaden. Oder das Wissen um die Tatsache, dass sich auch über das Stromnetz Daten übertragen lassen. Auf Übertragungsprotokolle (Hypertext, FTP, Telnet, mailto etc.) ist ebenso kurz einzugehen wie auf den Unterschied zwischen LAN und WLAN. Letzteres mag sich zwar bescheuert anhören, aber wenn man schon mal – wie es mir selbst passiert ist – fassungslos im MediaMarkt vor einem Angebot von “WLAN-Kabeln” gestanden hat, dann fragt man sich mitunter, wie blöd mancher Mitmensch wirklich ist.

Gefahren
Unverzichtbar ist der Hinweis darauf, dass das Internet die Spielwiese von skrupellosen Geschäftemachern – oder kurz: ein Minenfeld – ist. Die verschiedenen Arten von Schadsoftware sowie technische Abwehrmaßnahmen sind zu erläutern. Vor allem aber sind die Kursteilnehmer eindringlich darauf hinzuweisen, dass auch die beste technische Abwehrmaßnahme nicht greifen kann, wenn jemand selten dämliche Anfängerfehler macht.

Softwareausstattung
Von Linux-Distros mal abgesehen kommen die meisten Rechner mehr oder weniger “nackt”. Aber muss es denn wirklich gleich Photoshop CSirgendwas sein, wenn einer nur mal ein zu dunkles Foto aufhellen will? Muss es die komplette und teure MS-Office-Suite sein, um hin und wieder mal einen Brief schreiben zu können? In diesem Kursteil sollten die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, abwägen zu können und auch zu erfahren, was sichere und unsichere Quellen für Software sind und auf welche Freeware sich zurückgreifen lässt.

Zubehör
Drucker, Tastatur, Scanner, Fax, Memorystick, DVBT2-Empfänger, externe Brenner oder Platten, Flash-Laufwerke, Router, Digitalkameras und-und-und. Was eignet sich wann wofür? Was ist wann sinnvoll? Wer nur hin und wieder mal ein Farbfoto ausdrucken will, der braucht keinen Super-Duper-HighTech-Printer. Wer das aber oft und regelmäßig tut, der bekommt Tränen in die Augen, wenn er dabei auf einen billigen Tintenpisser setzt!

Rechtliches
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen das Internet nicht ernst nehmen, weil es sich ja “nur” um vergängliche Worte, Zahlen, Filmchen und Bildchen auf einem Bildschirm handelt. Hier schlägt die alte, passive TV-Glotzer-Mentalität voll durch. Doch im Gegensatz zum Fernsehen, vor dem man nur passiv abhängt und konsumierend eine Gehirnwäsche über sich ergehen lässt, lebt das Internet von Aktivität. Mit allen rechtlichen Konsequenzen. Nur derjenige, der das auch begriffen hat, wird entsprechende Vorsicht walten lassen.

Diskussion
Aus den sieben angeführten Kursteilen werden sicherlich noch offene Fragen übrig geblieben sein. Die sollten in diesem Abschlussteil so gut es geht beantwortet werden.

So ein “Computerführerschein” könnte bspw. als VHS-Kurs angeboten werden und das betreffende Zertifikat müsste – ähnlich der Ersthelferbescheinigung beim Führerschein – beim Erwerb eines Computers (Handys, Tablets …) vorgelegt werden. Denn nur wer informiert ist, der kennt die Gefahren und kann Gefahrenstellen umschiffen. Sicher, es gibt ja bereits Computerführerscheine. Sowas wie Xpert ECP oder ECDL. Meiner Meinung nach ist das aber alles Mumpitz, weil diese so genannten “Computerführerscheine” sich auf ein bestimmtes Betriebssystem (Windows) und auf ganz bestimmte, kommerzielle Anwendersoftware (MS Office) konzentrieren.

Sie vermitteln Usern Grundkenntnisse in Microsoft-Produkten und unterstützen eben dadurch den Umsatz von Microsoft. Sie schaffen Fachidioten, erzeugen MCSEs (MCSE = Mind Challenged Slave of the Empire). Die Prüfung ist Humbug. Ich selbst habe im Jahr 2011 ohne jegliche Kurse und ohne Kenntnis der Software, um die es ging (weil ich mit diesen Versionen noch nie gearbeitet hatte), spaßeshalber mal an einer entsprechenden Prüfung von Telekom, Cisco, Microsoft, DB AG, BA, BitCom, ranstad u. a. (vermittelt durch die IGM) teilgenommen und wirklich vollkommen unvorbereitet von jetzt auf gleich die Note “2+” erzielt. Derartige Zertifikate sind in meinen Augen sinnlos und stellen nutzlos vergeudetes Papier dar. Sie nützen einzig den Kursanbietern, denn für diese Kurse muss man immer wieder tief in die Tasche greifen. Sie vermitteln dagegen NICHT, was man täglich braucht!

Zurück zum eingangs angeführten Dialog mit dem Hilferuf: Man könnte das alles unter dem Stichwort DAU ablegen und vergessen, wenn es sich bei der betreffenden Person nicht um einen renommierten Kommunalpolitiker handeln würde – also um jemanden, der vor Ort Entscheidungen hinsichtlich Digitalisierung, Netzausbau u. ä. trifft.

Anders gesagt:

Da ist ein Entscheider, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat.

Projizieren wir das jetzt mal auf die Bundesebene: Da kriegt irgendein Politclown, der so hochkompetent ist, dass er ‘ne Festplatte für ein kaltes Buffet hält, eine Mail vom Typ “Sorgenfreie Zukunft – hier klicken: wiederwahlgarantiert.ru” o. ä., geht da mit Rechner oder Handy drauf, erteilt einem Wurm oder Trojaner eher oberflächliche Zugriffsrechte, so dass der sich nur auf das erstbeste Adressbuch stürzen und dadurch weiter verteilen kann und schon handelt es sich um einen Angriff Putins auf die Grundpfeiler der Demokratie.

Nein, ist es nicht! Es ist nichts weiter als das im Netz übliche Ausnutzen strunzblöder DAUs durch irgendwelche Kriminelle! Dem lässt sich mit Technik nicht beikommen. Aber mit Bildung!

 


Quelle und Kommentare hier:
https://quergedacht40.wordpress.com/2019/01/09/dau-alarm/