Bildet Clans!

von Stefan Rose

„Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.“ 

(Bertolt Brecht)

Alles immer planen zu wollen geht gern mal schief. Ist dem Stiefvater eines guten Freundes passiert. Der hatte das Leben in der Zukunft auf die Spitze getrieben: Sich nie was gegönnt, immer alles gespart. Für später. Wenn wir in Rente sind, sagte er immer zu seiner Frau, dann machen wir es uns schön.

Das sah in der Praxis so aus, dass er ein Jahr nach erfolgtem Renteneintritt eine Gehirnblutung erlitt und noch ein halbes Jahr im Koma lag, bevor man ihn für austherapiert erklärte. Feine Idee. Ein Extremfall, gewiss. Aber auch eine Warnung, das Hier und Jetzt nicht zu vergessen.

Immerhin hatte der Mann eine Frau, die sich bis zum Schluss um ihn kümmerte. Ist ja längst nicht mehr selbstverständlich. Ab einem gewissen Alter nämlich scheinen allein Lebende, meinem Eindruck zufolge eher allein lebende Männer als Motiv für eine neuerliche Partnersuche anzugeben, auf keinen Fall allein altwerden oder gar sterben zu wollen.

Mit anderen Worten: Es wird jemand gesucht, der nicht nur bereit ist, einem bis zum finalen Bühnenabtritt Gesellschaft zu leisten beim Vergreisen, sondern sich auch das Gejammer von der Angst vorm Alleinaltwerden anzuhören. Gibt sicher Leute, die da drauf abfahren. Mit Glück findet sich ein von Vereinsamungsangst gepeinigtes Gegenstück, dann kann man sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen.

Sollte das wirklich das vordringliche Motiv sein, eine Beziehung einzugehen, dann habe ich die eine oder andere schlechte Nachricht: Es hilft nämlich die schönste und stabilste Zweierkiste nichts – entschließt man sich irgendwann nicht ganz romantisch zum gemeinsamen Freitod, wird einer von beiden übrig bleiben und wieder allein dastehen. Die wenigsten Paare sterben zeitgleich.

Als Mann ist die Chance im allergünstigsten Fall fifty-fifty. Wenn man immer das Fahrrad und die Treppe nimmt, nur mäßig säuft, nicht raucht, in Essensdingen auf seine Frau hört, seine Blutwerte im Blick hat und sich vor keiner Vorsorgeuntersuchung drückt. Oder Gene hat wie Helmut Schmidt. Was aber selten ist.

Ansonsten bleiben Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit allein zurück, weil ihre statistische Lebenserwartung die der Männer inzwischen um vier Jahre überschreitet. Was im Einzelfall ganz schön viel sein kann.

Was geht noch? Beizeiten Kinder in die Welt setzen, damit man die später mit dem einen oder anderen diskreten Hinweis, man könne das, was man jenseits des Pflichtteils so zu vererben hat, ja auch gemeinnützigen Zwecken zugutekommen lassen, dazu nötigt, sich um einen zu kümmern? Funktioniert am sichersten, wenn man zumindest eins seiner Kinder konsequent zu Lebensuntüchtigkeit und Abhängigkeit erzieht. Zu eigenständige Kinder stehen nämlich mitunter irgendwann finanziell besser da als man selbst.

Gut ist immer, wenn eines der Kinder irgendwas komplett Brotloses studiert. Kein Orchideenfach, da könnte es passieren, dass der Nachwuchs zum weltweit gefragten Experten wird. Am besten was mit Medien –  damit lässt die Brut sich am leichtesten bis weit ins Erwachsenenalter an regelmäßige elterliche Zuwendungen gewöhnen.

Das Problem ist die bürgerliche Klein(st)familie, bestehend aus Vater, Mutter und 1-3 Kindern, die sich bei uns als Quasi-Standardlebensmodell bzw. unbedingt anzustrebendes Ideal durchgesetzt hat. Oft verbreiten Anhänger ja die gewagte These, der Mensch fände erst als solch ein (Klein-)Familienmensch, also als (verheiratete/r) Vater bzw. Mutter mit – gaaanz wichtig, Arterhaltung! –  Kindern seine wahre, ‚natürliche‘ Bestimmung. Umgekehrt sei jeder, der dies, aus welchen Gründen auch immer, nicht hinbekommen hat oder nicht hinbekommen will, irgendwie defizitär.

Nix dagegen, wenn das jemand für sich als besten Lebensentwurf herausgefunden hat. Aber man sollte die verdammte Moral aus dem Spiel lassen. Mit Moral hat das mal gar nichts zu tun. Für alle, die nicht reich bzw. adlig waren oder sonstwie Anschluss hatten, etwa auf Bauernhöfen oder im Kloster, war ein eigener Hausstand allein nicht zu führen. Zumindest brauchte man früher als arbeitender alleinstehender Mensch für die Wäsche und für das Essen eine Zimmerwirtin.

Erst unsere technischen Möglichkeiten sorgen dafür, dass man heute auch als Otto Normalbürger nicht mehr zwingend verheiratet sein muss. Diejenigen, die früher bloß notgedrungen verheiratet waren, vielleicht sogar darunter litten, sind heute Singles und vielleicht sogar glücklich damit. Ein echter Fortschritt.

Zumal die bei uns so fröhlich vor sich hin erodierende Kernfamilie im großen Zusammenhang eh die große Ausnahme ist. Ungefähr so eine wie eine staatliche Rentenversicherung. Erst die Industrialisierung begann dem ein Ende zu machen. Nun neigt sich das Industriezeitalter sichtlich dem Ende entgegen und damit vermutlich auch das der klassischen Kernfamilie.

Das Sein bestimmt eben das Bewusstsein. Nicht zuletzt sind Kleinstfamilien – der Kapitalismus schläft nicht – viel leichter in existenzielle Not zu bringen als größere Verbände und somit leichter erpressbar.

Fast über die ganze Distanz seiner Geschichte hat die Gattung Mensch in größeren Sippen- und Stammesstrukturen gelebt. Ja, richtig. In Clans! Genau die, die in unseren Städten, glaubt man der GdP, shock and awe verbreiten. No go-areas. Parallelgesellschaften. Geldwäsche. Drogenhandel. Genotzüchtigte Jungfrauen. Umvolkung. Shocking! Das ist der historisch-evolutionäre Normalfall, nicht das drei- bis fünfköpfige Reihenhaus- und Vorgartenidyll des Kleinbürgers.

Clans bilden oder lernen, sich selbst genug zu sein, das dürften die am ehesten gangbaren Alternativen im Alter sein. Denken Sie mal drüber nach.


Quelle und Kommentare hier:
https://fliegende-bretter.blogspot.com/2019/02/bildet-clans.html